Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.
schlimmer würde. Eine Art Stoizismus, zu deutsch Stumpfheit, ist über mich gekommen:Vielleicht tritt doch irgendeine Wendung ein; und wenn nicht, so geht man eben zugrunde. Wir sind beide 54 und haben ein ganz inhaltsreiches Leben gehabt – ob es ein bißchen früher oder später endet, ist schließlich einerlei, wie viele Menschen kommen schon über die Fünfzig? Und Lächerlichkeit oder Schande? Das sind doch Begriffe vergangener Zeit. Wir waren angesehene Leute. Was sind wir jetzt? Und was werden wir in zwei Monaten sein, wenn die Judenschonzeit der Olympiade vorüber ist und wenn der Schweizer Prozeß gegen den Gustloff-Mörder verhandelt wird?
Wahrscheinlich ist der italienische Fascismus um nichts weniger verwerflich als der Nationalsozialismus und mir nur deshalb weniger ekelerregend, weil er nicht nach dem Blut fragt und die Juden unverfolgt läßt. Wir lesen eben in deutscher Übersetzung (von Gusti Wieghardt geliehen) Ignazio Silone, »Fontamara«. In Zürich erschienener anklagender und satirischer Roman. Der Betrug und die Sünden des faschistischen Regimes an den »Cafoni« im Fucino, ausgesogenen Kleinbauern und Landarbeitern in Süditalien. Mutatis mutandis eine gräßliche Ähnlichkeit mit dem Vorgehen der NSDAP. Die skrupellose Herrschaft einer Partei, die sich auf Großkapital, Kleinbürger und verbrecherische Elemente stützt und in verlogener Weise Volkszustimmung und Volksbegeisterung vortäuscht und erzwingt.
7. August, Freitag
Gestern der schwerste Schlag seit meiner Amtsentlassung: Markus, Breslau, mit dem ich in aussichtsvoller Verhandlung stand, hat den Voltaireband nun doch abgelehnt, und zwar – dies ist das eigentlich Trostlose an der Sache – mit rein buchhändlerischen Begründungen, die fraglos richtig sind und die für jeden anderen Verleger genau ebenso gelten müssen: Es hätten sich in günstigeren Zeiten für das gangbarere 19. Jahrhundert während eines Zeitraumes von elf Jahren nicht genug Käufer gefunden, um die erste Auflage zu erschöpfen – wer werde jetzt Interesse für einen gelehrten Wälzer über das 18. Jahrhundert aufbringen?Dies sei eine geschäftlich unmögliche Sache. Vanitas vanitatum hin und her, es ist doch ein Stück meines Lebenswerkes, das um seine Wirkung und eigentliche Existenz gebracht ist, und ich komme mir nun erst recht wie lebendig begraben vor.
13. August, Donnerstag
Die Olympiade geht nächsten Sonntag zu Ende, der Parteitag der NSDAP kündigt sich an, eine Explosion steht vor der Tür, und es ist natürlich, daß man sich zuerst gegen die Juden abreagieren wird. So vieles ist aufgehäuft. Der Gustloffprozeß kommt im September; die Danziger Sache ist nur vertagt, die »verbündeten« Polen haben den französischen General Gamelin zum Marschall gemacht, Mussolini hat straflos Abessinien eingesteckt – und seit ein paar Wochen ist der spanische Bürgerkrieg im Gang. In Barcelona sind vier Deutsche als Märtyrer des Nationalsozialismus von einem Revolutionsgericht »ermordet« worden, und schon vorher hieß es, die emigrierten deutschen Juden hetzten dort gegen Deutschland. Weiß Gott, was aus alledem wird, sicherlich aber und wie auch sonst immer ein neues Vorgehen gegen die Juden.
Die Olympiade, die nun zu Ende geht, ist mir doppelt zuwider. 1. als irrsinnige Überschätzung des Sports; die Ehre eines Volkes hängt davon ab, ob ein Volksgenosse zehn Zentimeter höher springt als alle andern. Übrigens ist ein Neger aus USA am allerhöchsten gesprungen, und die silberne Fechtmedaille für Deutschland hat die Jüdin Helene Meyer gewonnen (ich weiß nicht, wo die größere Schamlosigkeit liegt, in ihrem Auftreten als Deutsche des Dritten Reichs oder darin, daß ihre Leistung für das Dritte Reich in Anspruch genommen wird). In der »Berliner Illustrierten« vom 6. 8. schreibt ein Dr. Kurt Zentner einen durchaus ernsten und sozusagen pädagogischen Artikel: »Außenseiter ohne Aussicht. (Nur hartes Training führt zum Ziel.)« Er erzählt, mit wie »kläglichen Erstlingsresultaten« viele Sporthelden begonnen haben, die dann durch äußerstes Training das Bedeutendste erreichten, so u. a. »der Welt genialster Tennisspieler, Borotra«,und er schließt seinen Artikel (Stil der moralischen Wochenschrift »Spectator«), es habe einmal ein unbekannter junger Korse auf der Kriegsschule in Brienne gesessen, habe sich täglich gesagt, er wolle Marschall werden, und sei der Kaiser Napoleon geworden. Sicherlich ist der Sport in England und USA immer
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