Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.
nehmen und für ein paar hundert Mark einen gebrauchten Wagen kaufen und ihn ohne Garage unter einem Plan im Garten stehenlassen. Das Auto soll uns ein Stück Leben und die Welt wiedergeben. Ich habe 490 M Einkommen; ich setze an, es seien 400, und 90 M monatlich mag das Auto kosten. Die Belastung der Police soll mich nicht bedrücken. Ich muß dieses Jahr sowieso den Jahresbeitrag von ihr ausleihen, ich leihe also ein paar hundert Mark mehr. Welchen Zweck hat es in dieser Zeit, an nächstes Jahr zu denken? Vielleicht bin ich dann ermordet, vielleicht wieder im Amt, vielleicht ist die Versicherung wieder durch Inflation zerstört wie schon einmal, vielleicht – ich will leichtsinnig sein, ich will es ganz bewußt sein. Wenn ich sterbe, muß eine kleine Pension für Eva dasein, und in diesem Fall bekommt sie ja auch noch etliche 1000 aus der Versicherung. Die Hypothek von 12 000? Das Haus ist durch Anbau inzwischen im Wert gestiegen. Kündigen Wenglers nach acht Jahren, mag eine andere Hypothek zu bekommen sein. Die 6000 Schulden an Georg oder seine Erben? Hat Zeit bis zur Fälligkeit der Police und wird keine Pfändungsklage bringen. Ich will leichtsinnig sein, bis zum äußersten – ich glaube, es ist in Evas Sinn gehandelt. Es ist so etwas wie eine innere Stimme in mir, die mich vorwärts treibt. –
Die Pension , das Auto , Nickelchen , das waren die großen Dinge dieser letzten tagebuchlosen ein, zwei Monate. Dazwischen war allerlei Kleineres oder Alltäglicheres: Menschen, Lektüre, Kino, der »Onkel« – das werde ich in einem Nachtrag morgen noch skizzieren.
Heute bloß noch das schwerwiegende Jahresresumé 1935.
Entlassen am 1. Mai 35. Auslandshoffnungen gescheitert. Hausanbau. – 18. Jahrhundert, Band I fertiggestellt (Das ganze Jahr nur dies geschrieben). Auto-Unterricht. – Tod des Katerchens.– Blumenfelds nach Lima. Arbeit an der Korrektur seiner Pubertätspsychologie. (Heute die Schreckschußmeldung, die am 19.12. abgesandte Revision sei nicht angekommen. Sofort bei der Post reklamiert.) –
Immer noch Drittes Reich und sehr gesunkene Hoffnung, das vierte zu erleben. – Überhaupt wenig Hoffnung, noch vieles zu erleben: ständige Herzbeschwerden, der Weg parkaufwärts mein tägliches Memento. Rauch-Einschränkung und sonstige précautions aufgegeben, auch hierin will ich leichtsinnig sein. Geringere Bindung an die Dauer des Lebens. Häufiges Gefühl, daß es ja doch dem Ende zugeht. Es war unser seßhaftestes Jahr, die weiteste Reise führte bis Heidenau. – Das Wichtigste eigentlich: Ich lernte Maschinenschreiben!
1936
24. Januar, Freitag abend
Vom 16. 11. ist meine erste Strobachquittung, die Anmeldung zum Fahrunterricht; am 22. 11. erstes Fahren. Dann Wochen der Verzweiflung. Am 28. 12. Anmeldung zum zweiten Kurs. Er begann am 2. Januar und dauerte dreizehn Stunden, im ganzen bin ich 25mal gefahren. Gestern vormittag habe ich die Prüfung bestanden. Diese Sache ist für mich wirklich beides, ein Sieg über meine Natur, ein sehr schwer errungener, und eine allerwichtigste Angelegenheit.
25. Januar, Sonnabend
Es war sehr komisch, wie ich da als Prüfling saß, ich ordentlicher Professor und Senator der TH, der ich 1914 mit dem Kolloquium mein letztes Examen gemacht zu haben glaubte und in den folgenden zwanzig Jahren so oft selber geprüft habe. Das »Mündliche« war also gewonnen. »Fahrschule Strobach fährt 10.30 Uhr«, hieß es dann.
Nun stand man eine Stunde vor dem Hause herum. Es war hübsches Wetter, vielleicht 1 Grad Wärme, ich fror sehr, aber unterhielt mich ganz gut mit den Leuten.
Nun endlich kam ich heran. Luthe hatte mich auf wenig Gas und immer noch weniger Gas gedrillt, auf sanftestes Anfahren. Ich fuhr so sanft an, daß der Wagen nicht von der Stelle ging. »So geht es nicht«, sagte der Ingenieur hinter mir. Dann rollte der Wagen. Postplatz, Altmarkt, Johannstraße, rechts, zur Prager hinüber, gekreuzt, noch eine Schleife, zum Bahnhof hinaus, Bismarckplatz, Werderstraße. Es ging nicht eigentlich schlecht.Aber ich hatte Schmerzen über der Brust, und Luthe stieß mir andauernd heimlich den Fuß vom Gashebel, und Lindner rief von hinten: »Sie bleiben ja stehen, geben Sie doch Gas!« Als ich mich schon außer Gefahr glaubte, bei der Werderstraße: »Halten, wenden!« Natürlich verwechselte ich wieder rechts und links. Aber dann kam ich herum, und der Ingenieur war ganz sanft. Er schien Mitleid mit meinen hohen Jahren zu haben. Zur Kulmstraße zurück, ich hielt
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