Ich wollte Hosen
weil sie sich nicht wohl gefühlt habe, wie üblich. Er schrie und fluchte wie üblich, dann setzte er sich hin und machte sich etwas zu essen. Bevor er anfing, rief er nach meiner Mutter, die auf dem Bett lag. Sie mußte sich zu ihm setzen. Und dann sagte er so ungefähr: »Heute habe ich meinen Schwager gesehen ... Vincenzino.«
»Er hat es gewußt, nicht wahr? Sogar er hat es gewußt, nicht wahr?«
»Hör zu, fang jetzt nicht mit deinen ewigen Geschichten an, laß mich ausreden ... Ja, er hat es gewusst ... Bitte, ich hab's dir schon gesagt, fang nicht an zu weinen, du weißt, ich kann es nicht ertragen, wenn du weinst!« Und er drehte sich auf die andere Seite. Er biß in ein Stück Brot und sagte: »Sogar den Appetit läßt du mir vergehen ...«
Da trocknete sich meine Mutter die letzten beiden Tränen ab und sagte: »Los, ich hab' schon aufgehört, ich hör schon auf ... Also, red schon ...«
»Hoffentlich bist du wirklich fertig ... Also, wie ich schon sagte ... Ah, ich habe Vincenzino getroffen, und er hat mich gefragt, ob die Sache mit Annetta wahr ist ... Wenn du nicht aufhörst, sag' ich gar nichts mehr, ist das klar? Wo war ich gerade? Siehst du, jetzt habe ich deinetwegen den Faden verloren, Schweiner ...«
Am liebsten hätte ich ihm das ganze Gespräch Wort für Wort eingeflüstert, ich war drauf und dran rauszukommen, weil ich es nicht mehr erwarten konnte.
»Bist du endlich fertig? Ohhh ... Also, Vincenzino hat zu mir gesagt, daß er nicht gekommen ist, weil es Vannina nicht gut ging ... Also habe ich zu ihm gesagt, daß es dir auch nicht gut gegangen ist ... Und er hat mich gefragt, wieso ... Dann hab' ich ihm eben alles erzählt, und er hat mir geantwortet, daß sie Annetta zu sich nehmen könnten ... Er hat mir gesagt, daß das kein Problem für sie ist, weil es Giovanna noch überhaupt nicht gut geht und sie eine Hilfe für die Hausarbeit brauchen könnte, und daß sie sie behalten, solange wir wollen ...«
»Und du, was hast du geantwortet?« fragte meine Mutter. »Meinetwegen können sie sie für immer behalten ...« Ich hatte still zugehört, auch weil ich nicht ein Wort ihres Gesprächs verpassen wollte, aber jetzt konnte ich nicht mehr widerstehen, und wie von einem Wahn besessen kam ich raus und schrie: »NEIN! Zu Onkel Vincenzino geh' ich nicht, da geh' ich nicht hin und da geh' ich nicht hin!« Sobald mich meine Mutter sah, stürzte sie auf mich zu und beschimpfte mich.
Mein Vater dagegen versuchte, sie zu beruhigen und sagte: »Ruhe, Ruhe, hören wir, warum sie nicht hin will.« Aber ich sagte nichts, weil mich die Sache zu verlegen machte.
Mein Vater drängte mich und kümmerte sich nicht um die Schamhaftigkeit eines jungen Mädchens: »Also? Warum willst du nicht hin? Die Zeiten sind vorbei, wo du deine Launen ausleben und alles nach deinem Kopf machen kannst. Hier habe ich das Sagen, und gemacht wird, was ich sage ... Morgen gehst du da hin!«
»Da bring' ich mich lieber um ... Ihr wißt, warum ich da nicht hin will!«
»Sei still, du bist nicht nur eine Nutte, sondern auch eine Lügnerin.«
Ich ging in mein Zimmer, um zu weinen und nachzudenken. An die Geschichte von vor sechs Jahren denken, von der ich geglaubt hatte, sie wäre für immer vergessen und vorbei.
Ich war noch keine zehn. Zu dieser Zeit lebte ich weniger bei meinen Eltern als bei meiner Oma, der Mutter meines Vaters. Wir waren eine Familie, die zusammenhielt: In diesem Haus trafen sich die Brüder und Schwestern meines Vaters mit ihren Kindern. Ich war die Lieblingsenkelin meiner Oma und die Lieblingsnichte meiner Onkel und Tanten. Sie nannten sie sogar »die Oma von Annetta«. Meine Onkel und Tanten kümmerten sich mehr um mich als um ihre eigenen Kinder, sie verhätschelten mich und taten alles für mich.
Es war eine wirklich glückliche Zeit in meinem Leben: Ich kam aus der Schule, ging zu meiner Oma, die wenige Schritte weiter wohnte, und blieb dort den ganzen Nachmittag und Abend; manchmal schlief ich sogar dort. Die Nachmittage verbrachte ich heiter und fröhlich mit meinen Cousins und meinen Freunden. Manchmal gingen wir zu meiner Tante Vannina, die uns Spiele zeigte oder uns Geistergeschichten erzählte.
Meine Tante Vannina war die jüngere Schwester meines Vaters und hatte einen heiteren und in mancher Hinsicht ein wenig kindlichen Charakter. Für uns Kinder war es ein Fest, wenn wir zu ihr gehen dürften, weil wir uns da mehr geliebt fühlten als bei uns zu Hause. Sie kam nicht nur auf unsere Ebene herunter
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