Ich wollte Hosen
(Ich habe ihre Folgen zu oft zu spüren bekommen.) Ich glaube eher, daß sie aufhörte, weil sie keine weiteren originellen Beschimpfungen mehr auf Lager hatte: Ich hatte schon bei der vorletzten Runde bemerkt, daß sie zu wiederholen anfing, »Verrecken sollst du«. Nachdem ich mindestens Dreiviertel meiner Kindheit damit zugebracht habe, mit meinen Cousins und Cousinen zu streiten, weiß ich, wie entmutigend es ist, dieselben Schimpfworte wiederverwenden zu müs- sen, die man schon eine Minute zuvor ausgesprochen hat, vor allem, wenn einem jemand zuschaut! Sie sind alle enttäuscht, sie erwarten sich ein wenig mehr Erfindungsreichtum von dir, und am Ende vergißt du, worum es bei dem Streit ging, mit wem du streitest und alles andere und denkst nur noch daran, ein neues Wort zu finden, um dienen guten Ruf wiederherzustellen ... Wenn du es dann gefunden hast, war dir der Triumph gewiß: für dich, der du einen Beweis für deine Phantasie und deinen gewählten Wortschatz liefern konntest, für deine Freunde, die auf dich, den Helden des Worts, stolz waren, und auch für deinen Gegner, der sich geehrt fühlen konnte, mit einer so hochstehenden Person gekämpft zu haben, und der dadurch ermutigt war, seinerseits weitere Worte zu suchen, um sich nicht zu blamieren und deiner würdig zu sein.
Ich verstand meine Mutter. Aber ich blieb gewiß nicht stehen, um ihr das zu sagen: Ich dachte, dies wäre nicht der geeignete Moment und vor allem nicht der gesündeste für mich, ihr meine Solidarität auszudrücken. Ich trat den Rückzug an und kehrte in meine vier Wände zurück.
Leider konnte ich diesen Vorfall nicht für den Rest meines Lebens als eines der vielen Rennen durch die Wohnung, um dem Zorn meiner Mutter zu entgehen, in Erinnerung behalten (wie ich gehofft hatte), sondern ich mußte es in Erinnerung behalten als den Anfang einer neuen Phase in meinem Leben. Meine Mutter schrie nämlich jetzt von ihrem Bett her, daß sie mich nicht mehr in ihrem Hause haben wolle, daß ich ihr zehn, von wegen zehn!, zwanzig, von wegen zwanzig!, dreißig Jahre ihres Lebens stehlen würde, daß ich sterben sollte und nicht sie; aber dann überlegte sie es sich anders und fügte hinzu, » l'erva tinta un mora mai , Unkraut vergeht nicht«, und weinte und schrie wieder.
So fand sie mein Vater vor, als er nach Hause kam, und deshalb beschlossen sie, daß ich nicht mehr bei ihnen leben konnte.
Mein Vater traf diese drastische Entscheidung sicherlich nicht aus Mitleid für meine Mutter oder weil er meine Anwesenheit im Hause nicht mehr ertragen konnte, außerdem hatte er sich immer so verhalten, als gäbe es mich nicht, und das war ihm überhaupt nicht schwergefallen. Der wirkliche Grund für diese Entscheidung war, daß meine Mutter jetzt schon seit einer Woche nichts mehr gekocht hatte und die Wohnung nicht mehr putzte, und er immer müde vom Feld heimkam und sich nicht nur selbst etwas kochen, sondern auch versuchen mußte, seine Frau zum Essen zu bewegen.
Für mich änderte sich nichts, weil ich mich aus Dosen ernährte oder von Wurst und Käse, die ich nachts heimlich besorgte und dabei aufpaßte, daß mich keiner hörte. Sie beschlossen also, mich woandershin zu schicken. Das Problem war jetzt, wohin mich schicken, ohne daß die Gefahr bestand, daß man mich wiedersah oder noch von mir reden hörte.
Ich bekam wie üblich alles mit und paßte auf, kein Wort von ihrer Unterhaltung zu verpassen; ich dachte auch darüber nach, wohin ich gehen könnte, und war glücklich bei dem Gedanken, daß ich eine ganze Weile das Weinen und Schreien meiner Mutter nicht mehr hören würde. Freilich konnte ich nicht hoffen, daß sie mich nach Rom schickten, zu meiner Tante Camilla ... aber warum eigentlich nicht? Ich wäre schön weit weg gewesen, und sie würden keine Gelegenheit haben, von mir reden zu hören, wenn sie es nicht wollten. Nun, es war dumm, diesen Gedanken auch nur entfernt ins Auge zu fassen: Rom war gleichbedeutend mit Verworfenheit, und mein Vater sagte das immer wieder, wenn Tante Camilla uns mit ihrem Mann und ihren Kindern, die alle Freiheiten genossen, besuchen kam. Wohin sollten sie mich dann schicken?
Ich erfuhr es ein paar Tage später. Meine Mutter kochte noch immer nicht und kümmerte sich weiter nicht um den Haushalt, und mein Vater versuchte, die Dinge möglichst zu beschleunigen.
Er kam wie üblich heim, war wie üblich müde, fragte, was es zu essen gebe. Meine Mutter gab ihm zur Antwort, sie habe nichts vorbereitet,
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