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Ich wollte Hosen

Ich wollte Hosen

Titel: Ich wollte Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Cardella
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seltsamen Form von Exhibitionismus heraus, die verlangt, daß du um jeden Preis etwas zu sagen haben mußt, in jeder Situation, einfach nur, um sagen zu können »Ich auch«.
Diesmal war es auf der einen Seite aber gut, daß ich meine Zunge nicht im Zaum halten konnte, denn endlich begriff ich die Bedeutung dessen, was mit mir passiert war. Ich sagte, auf der einen Seite, und das hat seinen Grund: die Reaktion von Rosa. Sie schaute mich entsetzt an und sagte dann: » Mmmoruuu!!! Chissa è 'na cosa tinta! O Gott, ist das was Schlimmes!«
Zu dieser Zeit lag meine Oma im Krankenhaus, weil es ihr wenige Tage zuvor sehr schlecht gegangen war. Der Doktor, sehr jung und einen Kaugummi im Mund, hatte gesagt: »Infarkt.« Ich wußte nicht, was ein Infarkt war, aber ich hatte das ruhige Gesicht des Arztes gesehen, und deshalb dachte ich, daß es nichts Ernstes sein konnte.
Als Rosa mir sagte, daß das was Schlimmes sei, hatte ich Angst und konnte mir kein Herz fassen und es meiner Mutter beichten. Ich dachte, sie würde mich schlagen, aber es war nicht nur das: Es machte mich verlegen, eine Sache von dieser Art zur Sprache bringen zu müssen, von der ich wußte, daß es sich um etwas Schmutziges, etwas sehr Schmutziges handelte, wenn Rosa auf diese Weise reagiert hatte. Also beschloß ich, meiner Oma davon zu erzählen, die sich mir gegenüber immer gutmütig und verständnisvoll gezeigt hatte. Als ich es ihr sagte und meine Oma mich fragte, ob es wahr sei, antwortete ich mit Ja.
» Porcu! Scannalìa picciliddi! Schwein! Kinderschänder!« und sie fing an zu weinen.
Drei Tage später starb meine Oma.
Ein paar Tage nach dem Begräbnis rief mich meine Mut- ter zu sich, die sehr an meiner Oma hing und fragte mich vor meinem Bruder: »Ist es wahr, was du der Oma erzählt hast?«
Aus Verlegenheit antwortete ich nur mit einem Kopfnicken. »Hättest du das nicht für dich behalten können? Du hast diene Oma ins Grab gebracht!«
Und damit war das Thema beendet und wurde nie wieder aufgegriffen.
Ich habe das nie verstanden: Meinen Eltern schien meine Ehre und die Ehre der Familie so wichtig, wie konnten sie dann das ertragen? Ich sage das nicht meinetwegen, ich sage das ihretwegen. Bei mir ist das auch etwas anderes, denn ich mußte diese Gewalt über Jahre hinweg aushalten: die Gewalt, ihn seelenruhig zu mir nach Hause kommen zu sehen - und er war da willkommen; die Gewalt, seine Worte aushalten zu müssen (wenn ich Tante Vannina einen Kuß gab, zu hören: »Und ich bekomme kein Küßchen?«) und ihm nicht einmal ins Gesicht spucken, meine Würde verteidigen zu dürfen; die Gewalt, ihn nicht vor allen hassen zu können, diesen Vorfall als Konsequenz meiner übertriebenen Naivität betrachten zu sollen, mir seine Schuld und sogar Gottes Schuld aufzuladen, weil ich laut meiner Mutter meine Oma ins Grab gebracht hatte.
Deshalb habe ich diese Erinnerung lieber aus meinem Gedächtnis gestrichen, mich daran gehindert, daran zu denken, und mich deshalb auch daran gehindert, an meine Oma zu denken, die alles war, was ich Schönes und Reines hatte. Und ich bin nicht mehr durch diese Straße gegangen, die Straße meiner Kindheit.
Seitdem leide ich unter Schlaflosigkeit, habe nachts Alpträume und muß bei Licht schlafen. Und mindestens eine Nacht in der Woche träume ich, daß mich der Reihe nach alle meine Onkel vergewaltigen, jede Nacht ein anderer; seit einiger Zeit träume ich, daß mich auch mein Vater und mein Bruder vergewaltigen. Nur von ihm träume ich nie. Sie wollten also, daß ich in sein Haus ging, um dort zu wohnen, obwohl sie wußten, daß da zwischen ihm und mir etwas in der Schwebe geblieben war; obwohl sie wußten, daß er zu mir gesagt hatte: » Poi continuammu . Später machen wir weiter.«
Ich hatte immer gedacht, daß meine Eltern mir nicht geglaubt hatten, aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie mich ausgerechnet zu ihm schickten, um dort wer weiß wie lange zu wohnen. Schon gut, wenn sie mich nicht mehr als ihre Tochter betrachteten, aber gab ihnen das vielleicht das Recht, meine Würde als Person aufs Spiel zu setzen?
    Ich verbrachte die ganze Nacht damit zu überlegen, was ich tun sollte: Ich wollte fliehen, die Polizei benachrichtigen, mich von jemandem beschützen lassen, mich umbringen: Irgend etwas, bloß nicht zu ihm gehen, aber mein Vater hatte sich vor dem Vorhang postiert, um jeden Versuch zu vereiteln, mich seinem Willen zu entziehen.
Diese Nacht tat ich natürlich kein Auge zu. Ich hörte, wie das

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