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Ich wollte Hosen

Ich wollte Hosen

Titel: Ich wollte Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Cardella
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noch mehr Sekunden waren (ich hörte auf, sie zu zählen, weil ich zu unruhig war), begann meine Phantasie sich in die düstersten Winkel meines Verstands zu wühlen ...
Da sah ich meine Mutter in einem See aus Blut liegen, ich berührte sie, ich schüttelte sie, und in diesem Augenblick kamen mein Vater und irgendein Onkel daher (natürlich wäre die Tür aus irgendeinem unglückseligen Zufall offen gestanden) und fand mich mit dem leblosen Körper meiner Mutter, Hände und Kleid verschmiert von ihrem Blut ... Ich wäre des Muttermordes angeklagt worden, unmittelbar anschließend (der Langwierigkeit von Gerichtsverfahren zum Trotz) zu Zuchthaus verurteilt und in ein schmuddeliges Gefängnis eingesperrt worden, schmutzig und klein, zusammen mit schlimmen Subjekten ... Vergeblich würde ich mit lauter Stimme meine Unschuld beteuern, niemand würde mir je Glauben schenken und niemand käme mich je besuchen in den heimatlichen Kerkern ...
All das dachte ich von der zwanzigsten bis dreißigsten Sekunde; von der dreißigsten bis etwa zur fünfzigsten dachte ich an eine andere Hypothese wie in einem Krimi, eine Hypothese, in der ich diesmal Opfer und nicht mehr Mörderin war: Meine Mutter hatte so getan, als sei sie hingefallen, und hatte den Teller zerbrochen, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, mich aus meinen vier Wänden zu locken und ohne Erbarmen zu töten und dann einen Unfall mit dem berühmten Teller zu inszenieren ... Aber dann dachte ich daran, daß meine Mutter nie einen Krimi gesehen hatte, noch ein Buch von Agatha Christie gelesen hatte, und daß ihre Phantasie sich nur am Klatsch entwickelt hatte ... Da ich nicht weiter in dieser Ungewißheit bleiben konnte und um zu verhindern, daß meine Phantasie in Richtung auf immer unwahrscheinlichere und düsterere Hypothesen galoppierte, beschloß ich, meine vier Wände zu verlassen und einen Blick zu riskieren.
Die Szene, die sich mir bot, war wirklich düster und schien meinen beiden Hypothesen Nahrung zu geben: Meine Mutter lag ausgestreckt neben dem Tisch auf dem Boden, mit geöffneten Händen eine Tellerscherbe berührend! Dies ließ mich an die erste Hypothese denken, doch während ich mich meiner Mutter näherte, begann ihre Hand plötzlich mit immer größerer Kraft die Tellerscherbe zu umklammern, und da dachte ich wirklich, sie wollte mich töten, und vergaß die Erklärungen, mit denen ich mir die Unmöglichkeit eines solchen Ereignisses eingeredet hatte.
Instinktiv trat ich ein paar Schritte zurück, während meine Mutter versuchte aufzustehen.
Mit etwas Mühe und sich auf den Tisch stützend, schaffte sie es, auf die Beine zu kommen. Sie drehte sich zu mir um und sah mich, fuhr leicht zusammen vor Angst, und da- rum beruhigte ich mich (wenn sie überrascht ist, heißt das, daß sie nichts vorgetäuscht hatte, um mich zu töten); dann, kaum daß sie mich erblickte, sah sie wieder meinen Onkel Raffaele, wie er mich beim Arm hielt und ihr sagte, er habe mich bei der Kleinen Villa mit einem Jungen huren sehen; und da erholte sie sich davon, was wahrscheinlich ein vorübergehendes Übelsein gewesen war, kam auf mich zu und suchte dabei mit den Augen nach etwas, womit sie mich treffen konnte. Während ich auf diesem engen Raum hin und her lief und nach einem Winkel suchte, in dem ich sicher wäre vor ihrem Zorn, ließ sie ihrer Wut freien Lauf und warf mir, als seien es Schuhe, Gläser, Teller, Vasen, die schlimmsten Verfluchungen entgegen, die ihr Kopf und ihr Herz enthielten, ganz schnell vor lauter Angst, daß die letzte Verwünschung, die ihr gerade eben in den Kopf gekommen war, verflog, ohne daß sie sie mir hätte entgegenschleudern können. Ein einziges »Verrecken sollst du!«, »Von einem Auto zerquetscht sollen sie dich heimbringen!«, »Verrecken sollst du wie die erste Dorfnutte!« prasselte auf mich nieder, daß man die verschiedenen buttana , bagascia und zoccula , miese Straßennutte, nicht mehr zählen konnte.
Ich lief und lief und flüchtete, denn meine Mutter blieb ja nicht stehen, während sie schrie, dieses Laufen feuerte sie im Gegenteil immer mehr an, denn weil sie sich nicht abreagieren konnte, wie sie wollte, also mich für ein paar Minuten lang gegen den Teppich einzutauschen und mich gehörig durchzuklopfen, wurde ihre Wut bei jedem Umlauf stärker, bis sie ins Schlafzimmer kam und sich wie einen Sack auf das Ehebett fallen ließ.
Ich glaube nicht, daß sie aus Müdigkeit aufhörte, die Ausdauer meiner Mutter kenne ich nur allzu gut!

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