Ich wollte Hosen
große Pendel der Uhr das Verrinnen der Stunden skandierte, und fühlte mich wie ein Lamm am Ostertag. Ich haßte es, mich so zu fühlen, denn seit ich mir meine Nonnenanwandlungen aus dem Kopf geschlagen hatte, hatte ich auch mit Opfersein nichts mehr am Hut.
Trotz alledem hatten sie jetzt entschieden, was sie mit meinem Leben machen wollten, und ich konnte nichts tun, wirklich nichts. Im übrigen sah ich den Schatten meines Vaters vor dem Vorhang: Da saß er, mit gekreuzten Armen. Gegen halb vier hatte ich versucht, mit ihm zu reden, ihm meine Ängste darzulegen, und er hatte mir zur Antwort gegeben: »Wovor hast du Angst? Wenn du schon Nutte werden mußt, dann mach deine Sache wenigstens gut! Oder gefällt er dir vielleicht nicht? Ach so, du magst nur Junge, Schöne ... Gib dich mit ihm zufrieden und schlaf.« Ich habe nie verstanden, ob er das ironisch oder ernst meinte. Und, ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was schlimmer wäre: seine Ironie in einem so wichtigen Moment meines Lebens oder der Ernst, mich wirklich in den Schlund dieses hungrigen Wolfs werfen zu wollen, der auf meine Unschuld aus war, das einzige, was ich ihm zu geben hatte. Ich habe auch nie den Grund für das Verhalten meines Onkels verstanden: Ich hätte es verstehen können, nicht rechtfertigen (rechtfertigen niemals, in keinem Falle), wenn ich eines der Mädchen gewesen wäre, die einer bloß anzusehen braucht und dann ein Feuer in sich spürt, und es fast eine Notwendigkeit ist, sie zu besitzen, vielleicht und noch besser, sie mit Gewalt zu nehmen. Aber ich war gerade eben ein Rotznäschen, eine vavà da minna , ein Milch trinkendes Baby, wie man bei uns sagt. Wenn mit fast sechzehn mein Busen beeindruckend platt war, wie muß er dann erst mit zehn ausgesehen haben: pures Flachland! Und ansonsten, ansonsten war da wirklich gar nichts ... Was konnte man sich von einem kleinen Mädchen erwarten, das noch nicht einmal am Anfang der Pubertät stand? Aber es ist sinnlos, nach Begründungen zu suchen, die man nur in der Psychoanalyse hätte finden können, wenn nicht gleich in der Psychiatrie ...
In diesen Jahren hatte ich nur gelegentlich an den Vorfall denken müssen und spürte Abscheu und Mitleid. Abscheu für ihn, für das, was er war, Mitleid für seine Töchter, die inzwischen fast junge Mädchen sein mußten und deshalb allein schon in seiner Nähe bereits in Gefahr waren ... Wenn er es bei mir versucht hatte, warum sollte er es nicht auch mit seinen Töchtern tun? Ob er moralische Skrupel hätte? Ich glaube nicht, denn ich bin sicher, daß er das Vorgefallene für etwas Normales hielt, sonst hätte er mich wenigstens gebeten zu schweigen. Wer würde meine Cousinen vor ihrem eigenen Vater verteidigen können? ...
Jetzt dachte ich wieder an alle diese Dinge und merkte, daß ich das zweite Mal in einer Nacht an einen Vater als an jemanden dachte, vor dem man fliehen muß ... Wenn du nicht einmal deinem Vater trauen kannst, wem dann überhaupt noch?
Alle kindlichen Illusionen brachen zusammen, die Märchen von den Bonbons, die man von keinem Fremden annehmen darf, nicht zu Unbekannten in ein Auto steigen ... Blödsinn! Ihr hättet uns beibringen sollen, uns vor euch, den Eltern, Verwandten und Freunden in acht zu nehmen, denn gegenüber Fremden ist uns instinktives Mißtrauen angeboren, und wenn eine wirklich so naiv ist, ihr Leben in die Hände des Erstbesten zu legen, der ihr über den Weg läuft, dann muß sie die Schuld für unangenehme Erfahrungen allein bei sich selber suchen. Aber wer hat uns je beigebracht, uns vor euch in acht zu nehmen? Bei wem sollen wir dann die Schuld suchen, wenn ihr uns tötet? Bei unserem unerschütterlichen guten Glauben?
Wenn ich einmal ein Kind habe, werde ich ihm als erstes sagen, daß es sich vor mir und vor seinem Vater in acht nehmen soll. Und das werde ich ihm jeden Tag in jedem Monat in jedem Jahr seines Lebens immer wieder sagen, bis es seinen dummen kindlichen Instinkt abgelegt hat, der einen dazu bringt, sein Leben in die Hände der erstbesten Person zu legen, die einem mit ein paar Worten und noch ein paar Küßchen schöntut; eine Person, die rein zufällig ein Elternteil ist, aber die irgendwer sein könnte, und du würdest sie auf die gleiche Weise liebgewinnen und ihr auf die gleiche Weise dein Leben anvertrauen, weil wir Hunde sind, auf der Suche nach einem Herrn, der uns liebkost, uns prügelt und uns vor allem beschützt. Aber wer beschützt uns vor dem Herrn? Da wird noch ein Herr sein, vor
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