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Ich wollte Hosen

Ich wollte Hosen

Titel: Ich wollte Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Cardella
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in die Schule kommt!« Und das Mädchen schritt langsam unter dem Gewicht dieser Blicke an seinen Platz, sie, das Opfer, sie, die buttana . Aber dann kam die große Pause, und das Opfer wurde zur Heldin, stand im Mittelpunkt dieses Gewehrfeuers aus Fragen: »Was hat denn deine Mutter gesagt? Und dein Vater? Wie haben sie dich geschlagen? Mit einem Stock? Es heißt, sie hätten dich nackt auf den Balkon geschickt und es dir mit einem Gürtel gegeben ... Armes Ding! ...« Und im Gewehrfeuer dieser Fragen und unterm Herabprasseln all dieser Armes Ding! wand sich die Arme so gut es ging, um niemandem unrecht zu tun. Dann, mit neuer Kraft und gestärkt durch die Schläge, bekräftigte sie mit lebendiger Stimme: » Passatimi u russettu, và! Na, dann gebt mir schon den Lippenstift rüber!«
    Ich mit meinen 60 an Busen-Taille-Hüften dachte indessen ständig an mein Leben als Braut Christi, was mich den gewöhnlichen Wechselfallen meiner Kameradinnen etwas entfremdete. Ich war nicht besonders beliebt; mein einziges Glück war, daß ich nicht Klassenbeste und auch nicht Zweitbeste war, sonst hätte man mich gehaßt. Man behandelte mich von oben herab (eine Haltung, der ich genauso begegnete!) und stufte mich als geistig halb behindert ein und außerdem als völlig nichtssagend in körperlicher Hinsicht.
All das war mir nicht unangenehm, im Gegenteil. In meiner Aura aus Vollkommenheit und Apathie fühlte ich mich auserwählt.
Von meinem Vorhaben, ein geheiligtes Leben im Kloster anzustreben, ahnte niemand etwas, aber manchmal, im spirituellen Überschwang, war der religiöse Eifer nahe daran überzuschwappen, und das geschah vor allem in den Religionsstunden. In diesen Momenten war es wirklich schwierig, mein Geheimnis zu wahren, dann kritzelte ich Anspielungen in meine Hefte, an den Rand neben Mathematikübungen oder lateinische Übersetzungen.
Wie gesagt, ich war nicht besonders gut in der Schule, aber manche wußten von ut und dem Konjunktiv weniger als ich und baten mich auf dem Höhepunkt der Verzweiflung darum, ihnen meine Übersetzung rüberzureichen. Einmal war mein Altruismus fatal, denn ich vergaß, die Kloster und Nonnenleben preisenden Sätze auszuradieren. Und meine Klassenkameradin hatte wohl keinen ausgeprägten Sinn für Dankbarkeit, denn von diesem Tag an mußte ich mir von der ganzen Schule hinterhersingen lassen: »Eine kleine Nonne will ich werden ...« und ähnliche Refrains. Bei aller Heiligkeit ließ ich dann manchmal meinen Glorienschein beiseite und brüllte wie eine Besessene.
Das Schlimmste war, als die Nachricht meinem Vater zu Ohren kam und ich angesichts seines forschenden Blicks nicht umhin konnte zu gestehen.
Mein Vater wollte von mir nur wissen, warum.
Ich antwortete: » Pirchì mi vogliu mettiri i pantaluna. Weil ich Hosen anziehen will.«
Natürlich bekam mein Vater meine stählerne Logik nicht gleich mit, aber nach ein paar Erklärungen prustete er vor Lachen. Ich schaute ihn an und verstand nichts. Und dann schaute er mich geradewegs an und sagte, diesmal ernst, mit sehr hartem Ton: »Nonnen tragen keine Hosen, sie haben ihre Nonnentracht, verstehst du?«
Und das hätte ich ihm glauben sollen! Ich flüchtete mich in mein Zimmer und schrie, er sei ein Lügner. Glücklicherweise konnte ich mich einsperren, bevor sein Gürtel auf mich niedersauste.
Ich fürchtete mich vor meinem Vater, nicht nur weil er körperlichen Schmerz bereiten konnte. Es war sein Blick, der einem Schrecken einjagte, seine Augen, die in mir lasen, seine Augenbraue, die sich hob. Wir hatten keine gute Beziehung zueinander, wir haben nie eine gehabt. Ich war seine Tochter, wenn er meine Ehre verteidigen und mir eine gute Partie verschaffen mußte. Ansonsten redeten wir fast nie miteinander, wir waren Lichtjahre voneinander entfernt, und keiner von beiden verließ seine Position, um einen Schritt über die Grenzlinie zu tun.
Ich war nur eine Frau, und eine Frau ist bei uns für den Vater gleichbedeutend mit Sorgen, bis man einen anderen Vater für sie findet, der nur zufällig und aus Konvention den Namen Ehemann erhält. Frau ist Ehefrau, Frau ist Mutter, aber sie ist keine Person.
Vielleicht haben wir deswegen nie miteinander gesprochen, und auch deswegen konnte ich die Leute aus meinem Dorf nie als meine Leute betrachten. Es gab eine zu hohe Mauer zwischen Frausein und Personsein; es gelang mir nicht, mich anzupassen. Ich habe versucht, meinen Lebensstil zu ändern, aber leider konnte ich nie meine Seele vergewaltigen,

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