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Ich wollte Liebe und lernte hassen

Titel: Ich wollte Liebe und lernte hassen
Autoren: Fritz Mertens
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haben wir natürlich auch nicht vergessen, was ja selbstverständlich war, und fuhren dann nach Hause. Als wir ankamen und Mutti die Krücken sah, verzog sie das Gesicht und meinte: »Das kann ja noch heiter werden.«
    Das war alles, was sie sagte. Ich ging dann mit Pappas Hilfe ins Kinderzimmer und setzte mich auf mein Bett und betrachtete meine Krücken ganz genau. Pappa kam ins Zimmer und stellte sie auf meine Größe ein, und wir fingen an zu üben, damit laufen zu lernen. Bei den ersten paar Versuchen knickte ich ein, da ich es nicht gewohnt war, auf einem Fuß zu stehen, geschweige denn überhaupt in der letzten Zeit zu stehen, und die Krücken waren auch noch ungewohnt für mich, aber Pappa fing mich jedesmal auf, und so gelang es mir nach einer halben Stunde, auf einem Bein und den Krücken durch die Gegend zu hoppeln, was ich dann sehr lustig fand. Nachdem ich noch eine halbe Stunde rumgehopst bin, fing ich an müde zu werden und die Arme taten mir weh. Ich setzte mich im Wohnzimmer auf das Sofa und neben mir, in einer Art Wiege, lag meine kleine Schwester und sabberte vor sich hin. Ich streckte ihr meinen Finger entgegen und sie griff danach und das ging dann eine ganze Weile so. Ich fand, so ein Baby ist schon etwas Schönes, und meine kleine Schwester fand ich besonders schön, wenn sie so dalag wie ein kleiner unschuldiger Engel. Als mein Schwesterchen eingeschlafen war, fragte ich Mutti ob ich den Fernsehapparat anstellen dürfe, was sie mir auch gleich erlaubte, da sie selber beschäftigt war mit dem Schreiben eines Briefes. Ich schaute fern bis zum Abendessen. Pappa ging am Mittag wieder zur Arbeit, und, wie gesagt, ich schaute das Kinderprogramm für die Sommerferien an. Als wir dann am Abendbrottisch saßen, war Pappa noch nicht zu Hause und ich fragte Mutti, wo er denn sei, worauf sie mir mit genau zwei Wörtern antwortete: »Auf Sauftour.«
    Na ja, ich konnte zwar mit dieser Antwort noch nicht viel anfangen, da ich es nicht ganz begriff, aber diese Antwort hatte noch schwere Folgen.
    Als Pappa dann nach Hause kam und mir Guten Tag sagte, fragte ich ihn: »Du Pappa, wo warst du denn zum Abendessen?« »Ich war bei der Oma und habe sie mal wieder besucht.« Also er war bei seiner Mutter.
    »Ah«, sagte ich. »Mutti hat gedacht du bist auf Sauftour, was ist eigentlich eine Sauftour?« fragte ich ihn dann gleich darauf.
    Er gab mir keine Antwort, sondern drehte sich rum und ging in die Küche und schloß hinter sich die Türe. Ein paar Minuten später hörte ich, wie meine Eltern mal wieder stritten, und ich fragte mich, was denn jetzt schon wieder los sein könnte, daß es wieder so ein Donnerwetter gab oder gibt. Dann nach einer Weile kam Pappa wieder aus der Küche und blieb an der Küchentüre stehen und schrie: »Wenn ich mal mit meinen Arbeitskollegen etwas trinken gehe oder bei meiner Mutter ein oder zwei Bier trinke, hast du noch lange nicht zu den Kindern zu sagen, daß ich auf Sauftour bin, wegen ein oder zwei Bier nicht, und wenn ich auf Sauftour gehe, dann gehe ich in eine Wirtschaft oder auch in zehn, wenn es mir paßt, und komme stinkbesoffen zurück, dann kannst du sagen, ich sei auf Sauftour, aber nicht zu den Kindern, sondern zu dir selber. Und wenn ich auf Sauftour gehe, dann geht es dich einen Scheißdreck an, wenn ich zig Stunden am Tag in der Gießerei stehe und schufte, daß mir das Wasser im Arsch kocht, habe ich das Recht auch mal einen trinken zu dürfen. Ich hoffe wir haben uns verstanden.« Er machte die Küchentür zu, ging an die Garderobe und zog sich seine Strickjacke an und verließ die Wohnung sehr lautstark, da er die Wohnungstür so zuschlug, daß es mindestens einen Kilometer weit zu hören war.
    Nun wußte ich also, was eine Sauftour war, und mir war gleich bewußt, daß dieses eine Wort mir wieder einen Haufen Ärger bereiten wird, was ich da nur wiederholt habe, und das auch noch unbewußt.
    Mutti kam aus der Küche und schaute mich einen kurzen Augenblick an und fragte in einem gehässigen Ton: »Wo ist dein Vater, du Verräter?« »Er ist gegangen«, gab ich ihr zur Antwort, und ich wußte, daß sie stocksauer war auf mich. Sie ging auf mich zu, blieb vor mir stehen, und fragte mich, was ich mir dabei gedacht habe. Ich kam zu keiner Antwort, denn auf einmal gab sie mir Ohrfeigen, eine links, eine rechts, links, rechts und das mindestens vier oder fünf Mal. Ich fing an zu weinen und hielt mir die Wangen, und mir liefen die Tränen in dicken Tropfen aus den
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