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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Christopher
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Suche nach Feuchtigkeit. Ich spürte, wie es weiter nach oben kroch. Dann kamen noch mehr. Sie schwirrten um mich herum und ließen sich auf meinem Körper nieder, als wäre ich schon tot. Sie krabbelten in meine Ohren und in meinen Mund, saßen oben zwischen meinen Beinen. Sie zu verscheuchen hätte zu viel Energie verbraucht. Stattdessen machte ich noch einen Schritt. Die Welt drehte sich. Einen Augenblick lang war der Himmel rot und der Sand blau. Ich schloss die Augen. Ich machte noch einen Schritt. Ich konzentrierte mich auf die Sandkörner unter meiner Fußsohle; sie waren heiß, aber nicht spitz. So ging ich weiter, nackt, ohne etwas zu sehen und von Fliegen bedeckt, den Weg nur ertastend. Ich wusste nicht mehr, wohin ich ging. Ich wusste überhaupt nicht mehr viel. Ich wusste nur, dass ich mich bewegte.
    Etwas später brach ich wieder zusammen. Und diesmal war mir klar, dass ich nicht mehr aufstehen konnte, egal, was ich versuchte. Ich rollte mich zusammen und grub mein Gesicht in den Sand. Ich wollte ein Tier sein, mich tief, immer tiefer eingraben. Ich scharrte, versuchte runter ins Kühle zu kommen. Aber ich hatte meine ganze Kraft ausgeschwitzt. Der Sand hatte sie absorbiert. Ich lag da, halb begraben von Sandkörnern. Ich schloss die Augen gegen die Sonne und sank hinab.
    Zuerst kamen meine Zehen, dann die Beine, der Körper und zum Schluss mein Kopf … ich sank nach unten, immer tiefer, tief unter den Sand. Ich taumelte durch die Körner. Ich fiel immer weiter durch Erde und Felsen, vorbei an Tierbauten und Baumwurzeln und kleinen Tierchen, immer weiter, bis ich auf der andern Seite ankam.
    Ich lag zu Hause auf meinem Bett. Meine Augen waren geschlossen, aber ich hörte Stimmen um mich herum. Der Fernseher lief. Ich erkannte die Stimme eines Nachrichtensprechers.
    »Heute wird London von einer unglaublichen Wetterlage erfasst«, sagte er. »Wieder erreicht uns eine dieser verrückten Hitzewellen.«
    Meine Bettdecke reichte mir bis hoch an den Hals. Ich konnte sie nicht wegschieben. Sie schien an meinem Kopfkissen festgenäht zu sein, wollte mich ersticken mit ihrer lastenden Hitze. Ich spürte, wie der Schweiß in meinem Kreuz zusammenlief, wie er sich in meinen Haaren sammelte.
    Ich roch etwas. Kaffee. Mum war daheim. Ich lauschte. Sie schepperte in der Küche herum und summte irgendeine dämliche Melodie. Ich wollte zu ihr, bekam aber die Beine nicht unter der Decke hervor. Ich trat wild um mich, ohne Erfolg, ich war gefangen. Meine Augen waren immer noch fest geschlossen, als wären sie zugeklebt. Ich fing an zu schreien.
    »Mum! Komm her!«
    Aber sie kam nicht. Sie summte nur lauter. Dabei wusste ich genau, dass sie mich hören konnte. Die Küche war direkt nebenan und die Wände waren dünn. Ich rief wieder nach ihr.
    »Mum! Hilf mir!«
    Sie hörte einen Moment lang auf herumzuscheppern, fast als würde sie lauschen. Dann stellte sie das Radio an, auf einen Klassiksender, der mein Rufen übertönte. Ich schlug um mich, versuchte mich irgendwo festzuhalten und aus dem Bett zu ziehen. Aber ich bekam nichts zu packen. Mein Nachttisch war nicht dort, wo er normalerweise stand. Neben meinem Bett war überhaupt nichts. Ich schrie weiter nach Mum, dass sie kommen und mir helfen sollte. Aber sie drehte nur das Radio lauter. Da wurde mir auf einmal klar, warum sie nicht kam. Sie hatte mir die Augen zugenäht, mein Bett zugenäht. Sie wollte, dass ich gefangen war.
    Dann spürte ich, wie sich zwei Arme rechts und links von der Matratze hochstreckten. Sie schlangen sich um meinen Bauch, die Hände verschränkten sich ineinander. Es waren starke, braun gebrannte Arme, von oben bis unten zerkratzt. Sie zogen mich durch die Matratze, weg von den zusammengenähten Decken. Sie zerrten mich durch die Polsterung und den Fußboden in meinem Zimmer, hinunter zum Betonfundament des Hauses, in die weiche, dunkle Erde darunter. Dort umarmten und wiegten sie mich, betteten mich an die Brust der Erde.
     
     
    Als ich aufwachte, war es kühl. Fast zu kühl. In Wasser getränkte Tücher lagen auf meinem Körper. Auf beiden Seiten vom Bett summte ein Ventilator. Ein nasser Waschlappen lag auf meiner Stirn, Wasser lief mir übers Gesicht. Ich drehte mich ein wenig. Das tat weh und eins der Tücher fiel mir vom Arm, so dass ich sehen konnte, wie schlimm verbrannt die Haut darunter war. Sie war tiefrot und fleckig, stellenweise mit Blasen bedeckt. Ohne das Tuch wurde mein Arm sofort wieder heiß. Du hast die Hand ausgestreckt

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