Identität (German Edition)
Traumzustand. Nachdem er sich ein paar Bier, ein paar Züge aus der Bong reingezogen hatte; nachdem er lange gereist war, quer durch die Zeitzonen – von Pacific zu Mountain zu Central zu Eastern –, nachdem er seinen betrunkenen Vater, der, möglicherweise zusätzlich auf Zauberpilzen, mit einer Knarre durch die Gegend torkelte, beruhigt hatte; nachdem er ihn ins Bett gekriegt, ihm sanft die Kanone aus der schlaffen Hand genommen und sie in Sicherheit gebracht hatte und sich dann mit geschlossenen Augen vor den Computerbildschirm gesetzt hatte.
Wie angeordnet, hatte er für sie beide Flüge nach Quito, Ecuador, unter den Namen Max Wimberley und Darren Loftus gebucht, und die Bestätigung war noch immer da auf dem Bildschirm, eine Box, die wie ein Seerosenblatt auf der Oberfläche des Monitors schwebte, und Ryan dachte: Ich sollte ins Bett gehen. Unglaublich, wie erschöpft ich bin . Und er rollte seine trockene, klebrige Zunge im Mund herum und zwang seine Augen einen Spaltbreit auf.
Er hatte schon früher solche Träume gehabt.
Da stand ein Mann, eine Silhouette hinter dem Maschendraht der Fliegentür. Er stand unter der Verandalampe, unter einer Wolke von Nachtfaltern, die kreisten und kreisten und benommen gegen die Decke knallten, wodurch über dem Kopf des Mannes ein langsamer Strudel von Hell und Dunkel entstand. Ryan ließ die Augen wieder zufallen.
Er hatte diese leichten Halluzinationen inzwischen schon seit einer ganzen Weile, diese eingebildeten Erscheinungen von Leuten, die er kannte, diese flackernden Lichter, von denen er wusste, dass sie lediglich die Rückstände von Erschöpfung und Stress und noch nicht überwundenen Schuldgefühlen waren, von zu viel Bier und Pot, zu viel Zeit allein mit Jay, ohne jemand anderen, mit dem er hätte reden können; von zu viel Zeit vor einem Computerbildschirm, der gelegentlich wie ein Hochgeschwindigkeits-Stroboskop zu flirren schien, im Millisekundentakt, wie diese unterschwelligen Werbebotschaften von früher, über die er mal gelesen hatte.
Plötzlich musste er an dieses Erlebnis an der Northwestern denken. Er und Walcott hatten das ganze Wochenende über Party gemacht, und er saß jetzt am offenen Fenster seines Zimmers im dritten Stock des Wohnheims und rauchte einen Joint. Sein Arm war nach draußen ausgestreckt, damit nicht das ganze Zimmer vollgequalmt wurde, und er versuchte, Rauchringe in die neblige Frühlingsnacht zu blasen, während er auf den menschenleeren Bürgersteig hinunterschaute und auf die Straßenlaternen, die wie alte Gaslaternen gestylt waren. Es war keinerlei Verkehr, und dann streckte jemand plötzlich die Hand von unten herauf und berührte ihn am Handgelenk.
Er spürte es ganz deutlich. Er wusste, dass es unmöglich war. Sein Arm war drei Stockwerke über dem Straßenniveau ausgestreckt, aber trotzdem hatte jemand von unten danach gegriffen und ihn einen Moment lang umfasst. Es war so, als ob sein Arm statt aus einem Fenster des dritten Stocks aus einem fahrenden Boot heraushinge, als ob seine Finger über die Oberfläche eines Sees gestrichen hätten und plötzlich eine Hand, ein Ertrinkender, aus dem Wasser nach ihm gegriffen und sein Handgelenk umklammert hätte.
Er hatte einen Schrei ausgestoßen, und der Joint war ihm aus den Fingern gefallen, und er sah, wie die orange Glut durch den dunklen Raum hinuntertrudelte, während er die Hand blitzschnell wieder hereinzog. «Heilige Scheiße!», sagte er, und Walcott hatte von seinem Laptop aufgeschaut und Ryan mit schläfrigen Augen angesehen.
«Hm?», sagte Walcott, und Ryan saß einfach nur da und hielt sich das Handgelenk fest, als habe er sich verbrannt. Was konnte er schon sagen? Eine Geisterhand ist gerade drei Stockwerke hochgeschwommen und hat versucht, mich zu packen. Jemand hat versucht, mich aus dem Fenster zu ziehen.
«Irgendwas hat mich gestochen», sagte er endlich, ruhig. «Ich hab den Joint fallen lassen.»
Das alles kam ihm jetzt mit völliger Klarheit wieder zu Bewusstsein – mehr wie eine Zeitreise als wie eine Erinnerung –, und er schüttelte den Kopf, die typische Bewegung des Tagträumers, der versucht, sein Gehirn wieder zurechtzurütteln.
Er kniff die Augen zu in der Hoffnung, damit Tabula rasa machen zu können, aber als er sie wieder öffnete, war die Gestalt in der Tür sogar noch deutlicher geworden.
Der Mann war näher gekommen. Er war jetzt im Zimmer und kam auf Ryan zu, ein großgewachsener Mann in einem schwarzen Anzug, dessen
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