Identität (German Edition)
Handtellers drückten, und seine Schulter, die gelegentlich ihre Schulter streifte, und die konkrete Realität seines Körpers. Seine konzentrierte Präsenz. Möglicherweise ein einfältiger Trost, aber dennoch genug, um sie etwas zu beruhigen.
Es bestand noch immer die Möglichkeit, dass er für sie sorgen würde. Vielleicht war es kein Fehler, mit ihm hierherzukommen . Eine Idee, die eine Feuergarbe in die grellgraue Weite des Himmels emporschießen ließ. Vielleicht würden sie ja doch bald reich sein .
Sie sah hinunter auf die Reifenfurchen, die sich parallel durch das Gestrüpp hinzogen, und hielt sich die flache Hand über die Augen zum Schutz vor Wind und Staub.
«Hier», sagte George Orson und gab ihr seine Sonnenbrille, und sie nahm sie.
Es sind immer die Mädchen, die sich für wahnsinnig gescheit halten , hatte ihr ihre Mutter einmal gesagt. Und am Ende stehen sie immer am dümmsten da .
Was einer der Gründe war, warum sie sich nicht schon längst abgesetzt hatte. Diese Worte brannten ihr noch immer im Gedächtnis: Mädchen, die sich für wahnsinnig gescheit halten . Und die bloße Vorstellung, nach Ohio zurückzukehren, zu Patricia in die Bruchbude. Kein College, kein gar nichts. Wie die Leute über sie lachen würden. Die eingebildete, arrogante Kuh.
Es war ja nicht so, dass sie gegen ihren Willen dort festgehalten worden wäre. Hatte George Orson nicht immer gesagt, sie könne gehen, wann immer sie wolle? «Hör zu, Lucy», hatte er zu ihr gesagt – das mitten in einem der vielen fruchtlosen Gespräche über ihre gegenwärtige Situation, die sie mit ihm geführt hatte. «Hör zu», sagte er, «mir ist klar, dass du nervös bist, und du sollst wissen, dass du, solltest du jemals merken, dass du dein Vertrauen in mich verloren hast, dass das hier einfach nicht funktioniert – dass du dann jederzeit nach Hause fahren kannst. Jederzeit. Ich werde es bedauern, aber respektieren und dir ein Flugticket kaufen und dich nach Ohio zurückschicken. Oder wo du sonst hinmöchtest.»
Also.
Also gab es Alternativen, und während der letzten Tage und Wochen hatte sie sie gegeneinander abgewogen.
Wie sie in ein Flugzeug stieg, konnte sie sich beinah vorstellen; sie konnte sich vorstellen, den Gang entlangzugehen und sich zuletzt in einen engen Sitz neben ein verschmiertes Fenster zu setzen. Aber wohin ging die Reise? Zurück nach Pompey? In irgendeine Großstadt? Chicago oder New York oder
In irgendeine Großstadt, wo sie
Blackout.
Früher mal war sie voller Ideen gewesen, wenn es um ihre Zukunft ging. Sie war ein praktischer Mensch, ein Mensch, der vorausplante. «Ehrgeizig» hatte ihre Mutter sie genannt, und es war nicht als Kompliment gemeint gewesen.
Sie erinnerte sich an einen Abend, nicht lange bevor ihre Eltern starben, wo ihr Vater Patricia wegen ihrer Hausratten aufgezogen und gewitzelt hatte, die Ratten könnten am Ende verhindern, dass sie einen Freund abbekam. Ihre Mutter, die im Hintergrund, aber mit gespitzten Ohren Geschirr gespült hatte, war plötzlich dazwischengefahren.
«Larry», hatte Lucys Mutter in strengem Ton gesagt, «du solltest besser nett zu Patricia sein.» Sie drehte sich um und schwenkte zur Unterstreichung ihrer Worte einen schaumtriefenden Pfannenwender. «Denn das kann ich dir sagen: Patricia ist diejenige, die sich um dich kümmern wird, wenn du erst mal alt bist. Rauch weiter so viel, und du ziehst mit fünfundfünfzig eine Sauerstoffflasche hinter dir her, und dann wird es nicht Lucy sein, die dich zum Arzt fährt und für dich einkaufen geht, das kann ich dir versichern. Wenn Lucy erst mal mit der Highschool fertig ist, ist sie weg, und dann wird’s dir leidtun, dass du Patricia immer so geärgert hast.»
«Herrje», sagte Lucys Vater, und Lucy, die am Küchentisch gesessen und ihre Hausaufgaben gemacht hatte, hob den Kopf.
«Was hat das bitte schön mit mir zu tun?», hatte sie gesagt, obwohl ihre Mutter im Wesentlichen recht hatte. Nie im Leben würde sie in Pompey bleiben und einen kranken Vater pflegen. Sie würde für ein Pflegeheim bezahlen, sagte sie sich. Aber trotzdem – es war ziemlich daneben von ihrer Mutter, sie so mit Patricia zu vergleichen, und Lucy verpasste ihr einen beleidigten Blick. «Ich weiß nicht, was daran so schlimm sein soll, aufs College zu gehen und etwas anderes machen zu wollen.»
Damals spielte sie mit dem Gedanken, vielleicht Jura zu studieren, Unternehmensrecht. Damit, hatte sie gehört, sei das große Geld zu
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