Identität (German Edition)
mittelalterliches Schloss gemacht war, und Leute standen am «Tafelrunden-Buffet» an, und er hob noch mehr Geld ab.
Und dann, nachdem er durch die Korridore des Luxor und des Excalibur gewandert war, kam er endlich ins Freie und hatte an die zehn Riesen im Rucksack. Das war das Schöne an Vegas – man konnte an einem Bankautomaten fünfhundert, tausend, dreitausend Dollar abheben, und es fiel nicht weiter auf. Allerdings würde er Kasimir Czernewski nach diesem Trip in den Ruhestand schicken müssen. Was irgendwie traurig war. Er hatte viel Zeit damit zugebracht, sich Kasimirs Leben auszudenken, hatte versucht, sich vorzustellen, wie es wäre, ein Ausländer zu sein, ein junger Mann, der mit nichts angefangen und sich nach und nach zum amerikanischen Traum emporgearbeitet hatte. Kasimir: im Prinzip lässig, aber in mancherlei Hinsicht auch schlau, entschlossen, besuchte Abendkurse und rackerte sich ab, um seine bescheidene Ein-Mann-Detektei auf die Beine zu stellen. Man hätte über Kasimir Czernewski eine TV-Serie drehen können, eine «Dramedy», hätte er sich vorstellen können.
Draußen gingen die Leute in Gruppen von fünf, zehn oder zwanzig den Bürgersteig entlang, und hier wirkten sie zielstrebiger, mehr so, wie sich Großstädter auf der Straße bewegen. Auf der einen Seite schleppten sich Autokolonnen zähflüssig dahin, auf der anderen standen Männer und drückten den Passanten Karten in die Hand. Es waren hauptsächlich Mexikaner, die auf sich aufmerksam machten, indem sie sich mit ihrem Werbematerial auf den Unterarm schlugen – klatsch, klatsch, klatsch –, dann eine einzelne Karte herauszogen und sie einem hinhielten.
«Danke», sagte Ryan und hatte schon an die zwanzig davon eingesammelt, bevor er anfing zu sagen: «Hab schon», «nein danke», «tut mir leid.»
Die Karten warben für verschiedene Hostessen-Services und zeigten Fotos von samtig glatt retuschierten nackten Frauen mit aufgedruckten bunten Sternchen auf den Brustwarzen. Manchmal bedeckten die Buchstaben ihres jeweiligen Namens ihren Intimbereich: Fantasie, Roxan, Natasha. Schöne exotische Tänzerin performt ausschließlich für Sie, in Ihrem eigenen Zimmer!, erklärte die Karte. Nur $ 39! Und dann die Telefonnummer, die man anrufen sollte.
Er stand auf der Straße herum und sah sich seine Kollektion von Hostessen an. Als er sich gerade vorstellte, wie es wohl wäre, sich tatsächlich eine aufs Zimmer zu bestellen, hörte er die Russen näher kommen.
Zumindest nahm er an, dass es Russen waren. Oder sie sprachen irgendeine andere osteuropäische Sprache. Litauisch? Tschechisch? Auf jeden Fall redeten sie laut in ihrer Muttersprache – Zatruxa blabla. Baruxa! Hahaha –, und Ryan schaute erschrocken auf. Da gab es einen Glatzköpfigen, einen, der sein blondes Haar mit Gel zu Igelstacheln gestylt hatte, und noch einen, der eine karierte Caddie-Kappe trug. Und allesamt hatten sie bunte Hawaiihemden an.
Sie hielten diese riesigen Souvenirgläser in den Händen, die man auf dem Strip so häufig sah, Gefäße, die wie Blumenvasen oder Bongs aussahen – mit runden, knolligen Bäuchen und langen, röhrenförmigen Hälsen, die in einem Kesselmundstück endeten. Vermutlich waren diese Gläser so konzipiert, dass man sie praktisch nicht verschütten konnte und sie dabei die erlaubte Höchstmenge Alkohol enthielten.
Die drei kamen auf ihn zu, lachten und redeten lautstark in ihrer slawischen oder sonstigen Sprache, und er konnte nicht anders. Er erstarrte zur Salzsäule und glotzte sie an.
In seinem ersten College-Jahr auf der Northwestern schimpfte sein Zimmergenosse, Walcott, häufig mit ihm.
«Warum gaffst du die Leute immer so an?», sagte Walcott eines Abends, während sie in Chicago die Rush Street entlangschlenderten und nach einer Bar suchten, die vielleicht ihre gefälschten Ausweise schlucken würde. «Ist das in Iowa so üblich?», sagte er kritisch. «Denn weißt du, in Großstädten ist es nicht cool, Leute anzuglotzen.»
Walcott kam genau genommen aus Cape Cod, Massachusetts, was nicht mal eine Kleinstadt war, aber er hatte längere Zeit in Boston und New York gelebt und hielt sich deswegen für einen Fachmann in derlei Dingen. Er hatte auch sehr feste Vorstellungen darüber, wie Leute aus Iowa waren, obwohl er noch nie dort gewesen war.
«Hör mal», sagte Walcott, «ich geb dir einen Rat. Schau nie Leuten direkt ins Gesicht. Tritt niemals – ich wiederhole – niemals, niemals, NIEMALS mit einem Obdachlosen
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