Idol
Montecavallo.
BARGELLO: Der Palazzo ist doch seit einer Woche geschlossen.
|233| FILIPPO: Das wußte ich und war überrascht.
BARGELLO: Alles in allem haben dich also viele Dinge in dieser Geschichte überrascht.
FILIPPO: Oh, ja, Signor Bargello. Das kann man wohl sagen, viele!
BARGELLO: Zum Beispiel?
FILIPPO: Zum Beispiel, daß Signor Peretti nicht mehr Leute mitgenommen hat. Es gibt ein halbes Dutzend kräftige Männer im
Palazzo Rusticucci, den Wächter, der früher Soldat war, nicht eingerechnet.
BARGELLO: Wann hat Signor Peretti den Entschluß gefaßt auszugehen?
FILIPPO: Als ich mich gerade zu Bett legen wollte. Gegen elf Uhr.
Il mancino
hatte ihm kurz davor ein Billett überbracht.
BARGELLO: Weißt du, was darin stand?
FILIPPO: Nein, Signor Bargello.
BARGELLO: Signor Peretti hat das Billett ein paar Minuten vor elf Uhr bekommen, ist aber erst halb zwölf ausgegangen. Was
geschah in dieser halben Stunde?
FILIPPO: Die ganze Familie war im Patio versammelt und flehte ihn an, doch ja keinen Fuß vor die Tür zu setzen.
BARGELLO: Was verstehst du unter der »ganzen Familie«?
FILIPPO: Signora Camilla, Signora Tarquinia, Signorina Giulietta, Signor Flamineo. Sie klammerten sich an ihn und beschworen
ihn, sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen. Ach, Signor Bargello, wenn Ihr das gehört hättet: nichts als Schreien und Jammern!
BARGELLO: Und Signora Vittoria?
FILIPPO: Es ist nicht die Art der Signora, sich an jemanden zu klammern. Aber danach versuchte auch sie, ihn umzustimmen.
BARGELLO: Wonach?
FILIPPO: Nachdem sich die Menschentraube von ihm gelöst hatte.
BARGELLO: Hast du gehört, was Signora Vittoria zu ihrem Mann sagte?
FILIPPO: Nein, dazu war es zu laut. Alle schrien und weinten. Doch an ihrer Miene habe ich deutlich ablesen können, daß auch
sie ihm vom Ausgehen abriet.
BARGELLO: Wie sah sie aus?
|234| FILIPPO: Sehr erschrocken und beunruhigt. Sie rang die Hände.
BARGELLO: Wie lange dauerte die Unterredung?
FILIPPO: Ich weiß nicht. Vielleicht gute zehn Minuten. Aber mit einer Unterbrechung.
BARGELLO: Was für eine Unterbrechung?
FILIPPO: Die Signora ließ Signor Peretti stehen, um mit dem
mancino
zu reden. Danach ist sie zu Signor Peretti zurückgekehrt und hat ihn abermals angefleht.
BARGELLO: Wieso kannst du sagen, sie habe ihn angefleht, wenn du ihre Worte gar nicht gehört hast?
FILIPPO: Ich habe es an ihrem Gesichtsausdruck gesehen.
BARGELLO: Wenn du die Szene mit der Fackel beleuchtet hast, hättest du es hören müssen.
FILIPPO: Signor Bargello, ich bin kein Lügner! Ich sage die Wahrheit! Um mich herum war ein Höllenlärm. Außerdem waren drei
Fackelträger im Hof, und ich stand nicht dicht genug bei der Signora.
BARGELLO: Was geschah dann?
FILIPPO: Signor Peretti befahl Pietro, seinen Degen zu holen.
BARGELLO: Und diesmal hast du es gehört …
FILIPPO: Nein, Signor Bargello! Ich habe es nicht gehört. Doch ich begriff, was er verlangt hatte, als ich Pietro mit dem
Degen meines Herrn zurückkommen sah. Signor Bargello, ich bitte Euch, behandelt mich nicht länger wie einen Lügner!
BARGELLO: Das tue ich gar nicht. Was geschah dann?
FILIPPO: Pietro brachte den Degen mit Scheide und Gehänge.
BARGELLO: Und dann?
FILIPPO: Mein Herr hat den Degen gezogen und Scheide und Gehänge wütend zu Boden geworfen.
BARGELLO: Wütend?
FILIPPO: Ja, er schien außer sich zu sein. Dann befahl er mir grob, ihm mit der Fackel voranzuleuchten, und rannte wie ein
Wahnsinniger hinaus. Ich hatte ihn noch nie in einem solchen Zustand gesehen. Auf der Straße sagte er mir, daß es zum Palazzo
Montecavallo gehe, und schrie mich an: »Schneller, schneller!« Er lief, was die Beine hergaben.
BARGELLO: Und dann?
FILIPPO: Dann … Ihr wißt genau, was meinem Herrn dann widerfahren ist: man hat ihn mir umgebracht!
|235| BARGELLO: Komm, Filippo, hör auf zu weinen. Ein Mann darf doch nicht weinen.
FILIPPO: Warum nicht, wenn er traurig ist? Und ich bin doppelt traurig. Erstens, weil Signor Peretti ein guter Herr war, und
dann, weil ich nicht weiß, was nun, da er tot ist, aus mir werden soll.
BARGELLO: Erzähle weiter!
FILIPPO: Wäre ich doch nie geboren, um solches nicht erleben zu müssen! Was für ein schreckliches Unglück!
BARGELLO: Weiter, Filippo!
FILIPPO: Entschuldigt, Signor Bargello, ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Also gut: stellt Euch die Straße vor,
die zum Palazzo Montecavallo hinaufführt. Sie steigt ziemlich steil an. Dort mußte
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