Idol
der die List in Person sein mußte, um auf die Idee zu kommen, sich
anstelle des Priesters in einem Beichtstuhl zu verstecken und so ungesehen die Kapelle zu überblicken. Außerdem könnte ein
gedungener Mörder ergriffen werden und unter der Folter aussagen, so daß die Corte womöglich über einen Handlanger den Weg
zu mir finden würde. In diesem Falle wäre mein Leben verwirkt, entweder durch das päpstliche Gericht oder, wenn ich dem entginge,
durch Paolos Hand.
Ich hätte natürlich den Medicis schreiben, den Sachverhalt mitteilen und ihnen alles Weitere überlassen können. Doch ich wußte,
daß sie viel zu vorsichtig waren, mir einen Rat zu geben oder selbst aktiv zu werden, bevor ich nicht die Kastanien aus dem
Feuer geholt hätte. Ich werde mich schon glücklich schätzen müssen, wenn sie mir ein paar von diesen Kastanien ablassen, sobald
Virginio dank meinen Bemühungen sein ungeteiltes Erbe angetreten hat.
In dieser Unsicherheit ob des einzuschlagenden Weges erhielt ich überraschend eine Einladung von Monsignore Cherubi. Er war
inzwischen die rechte Hand des Patriarchen von Venedig geworden und wohnte während seines Besuchs in Rom in einem Palast,
den sein Patriarch in der Ewigen Stadt gemietet hatte. Man erinnert sich vielleicht noch daran, daß Cherubi bei Montalto in
Ungnade gefallen war, weil er ein Wort des Kardinals vor dem Papst wiederholt hatte.
Monsignore Cherubi war liebenswürdig, umgänglich, unvorsichtig, keineswegs dumm, neugierig wie ein Eichhörnchen und geschwätzig
wie eine Elster. Im Vatikan, wo es so viele gerissene Schmeichler gibt, war er insofern eine Ausnahme, als er – wider alle
Logik und Erwartung – dank einer ununterbrochenen Folge von Dummheiten, die er beging, eine beachtliche Karriere in der kirchlichen
Hierarchie machte. Der Grund dafür war, daß seine Ungeschicklichkeit für all die Machiavellis um ihn herum etwas Beruhigendes
hatte: sie belustigte jedermann und tat niemandem weh.
|227| Mein Erstaunen war um so größer, als an der Mahlzeit, zu der Cherubi mich geladen hatte, nur zwei Personen teilnahmen: er
und ich. Daraus folgerte ich, der Kirchenfürst habe – vielleicht auf Anraten Gregors XIII., dessen Günstling er war – dieses
Tête-à-tête arrangiert, um Informationen über Paolo aus mir herauszulocken, und ich setzte mich, durch diese Situation außerordentlich
geschmeichelt, zu Tisch.
Der größte Teil der Mahlzeit verlief unter belanglosem Geplauder, die Speisen waren ausgezeichnet, und Monsignore Cherubi
– ein großer dicker Mann mit einem Gesicht von der Farbe eines Parmaschinkens – sprach Essen und Trinken kräftig zu. Beim
Nachtisch jedoch schien seine Kehle endlich weniger Gefälle zu haben, das Gespräch verebbte, und ich spürte, daß wir uns nun
ernsteren Dingen zuwenden würden. Das geschah schneller und vor allem abrupter als erwartet.
»Graf«, sagte er mit seiner volltönenden jovialen Stimme, »ich wüßte gern Eure Meinung zu einer Frage, die mir Seine Heiligkeit
gestellt hat und die ich nicht beantworten konnte: Hat sich zwischen Euerm Cousin und der Signora Peretti das Unvermeidliche
ereignet?«
Ich lachte, weil mir »das Unvermeidliche« im Munde eines Kirchenmannes zumindest erheiternd vorkam und weil das Lachen mir
eine Frist zum Nachdenken verschaffte.
»Monsignore«, erwiderte ich, liebenswürdig lächelnd, »Eure Frage hat den Vorzug, aufrichtig zu sein, was ich sehr schätze.
Und ich will gern darauf antworten, wenn Ihr mir zusichert, auch meine Neugier bezüglich der Gefühle des Heiligen Vaters in
dieser Affäre zu befriedigen.«
»Soweit sie mir bekannt sind, will ich Euch darin zufriedenstellen«, sagte Cherubi und machte zumindest dem Anschein nach
tabula rasa mit der vatikanischen Diplomatie. »Ihr kennt mich«, fuhr er schmunzelnd fort und legte die Hände auf den Bauch.
»Ich spreche eine deutliche Sprache und schätze klare Verhältnisse.«
Ich lachte wieder, wobei ich mich zu fragen begann, ob nicht Cherubi im Verlaufe seiner Karriere aus seinen Dummheiten mehr
Kapital zu schlagen gewußt hat als andere aus ihrem diplomatischen Geschick. In der Diplomatie dienen solche Dummheiten einem
ganz ähnlichen Zweck wie auf einem Schiff der Enterhaken, mit dem ein anderes Schiff herangezogen oder aber |228| abgestoßen wird, je nachdem; da Cherubi mit seinem »Enter haken « offensichtlich versuchte, meine Barke an seine mächtige Galeere heranzuholen,
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