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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Giulietta, von der es hieß, sie sei die Verkörperung des gesunden Menschenverstandes?

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    |35| KAPITEL II
    Seine Eminenz Kardinal Cherubi:
     
    Zwei Jahre nachdem Gregor XIII. den päpstlichen Thron bestiegen hatte, wurde ich Generalvikar von Seiner Eminenz Kardinal
     Montalto. Diese Ehre – wenn es denn eine war – sollte nur von kurzer Dauer sein. Ein Jahr später, im Mai 1573, um genau zu
     sein, enthob mich der Kardinal mit seiner gewohnten Unhöflichkeit meines Amtes.
    Da in Rom so unbarmherzige Gerüchte darüber kursierten, weshalb ich in Ungnade fiel, möchte ich hier in aller Herzenseinfalt,
     die gewissermaßen ein
nutrimentum spiritu
1 ist, die Gründe darlegen: sie waren dermaßen nichtig, daß später einmal jeder vernünftig denkende Mensch darüber staunen wird. Daß
     eine Frau – Vittoria Accoramboni – zwar nicht die Ursache, zumindest aber der Anlaß war, wird die Verblüffung noch vergrößern.
    Ich wüßte übrigens nicht, daß man mir in diesem Zusammenhang Verbitterung oder Groll nachsagen könnte, denn diese brutale
     Entlassung, von mir zunächst als schmerzlich empfunden, erwies sich späterhin als ein wahrer Segen.
    Sobald nämlich Seine Heiligkeit Gregor XIII. erfuhr, daß mich Seine Eminenz »zu meinen Gondeln zurückgeschickt« hatte – so
     die abfällige Redensart, die der Kardinal bei dieser Gelegenheit zu verwenden sich nicht scheute –, nahm er mich unter seine
     Fittiche und den Kardinal beim Wort, indem er mich dem Patriarchen von Venedig empfahl. Dieser empfing mich um so freundlicher,
     als ich ja tatsächlich Venezianer bin und der Papst außerdem hatte verlauten lassen, er werde mich eines Tages zum Kardinal
     ernennen.
    Eine solche Aussicht erschien dem Patriarchen um so verlockender, als er selbst sich Hoffnung auf den Papstthron machte. Er
     glaubte, in mir einen Freund zu gewinnen, der ihm eines Tages im Konklave seine Stimme geben würde, wenn |36| Gott der Herr die Seele des liebenswerten Gregor zu sich riefe. Als es jedoch soweit war, fehlte ihm meine Stimme. Leider,
     aber ich konnte nichts dafür! Und wer wurde statt seiner zum Papst gewählt: etliche erinnern sich noch mit Heulen und Zähneklappern
     daran …
    Heute sehe ich das knappe Jahr, das ich bei Kardinal Montalto verbrachte, als eine Art irdisches Fegefeuer, in dem die göttliche
     Vorsehung mich armen Sünder läutern wollte. Gewiß, Kardinal Montalto zeichnete sich durch außerordentliche Intelligenz und
     Energie und die strenge Einfachheit seiner Lebensweise aus, aber der Herr möge mir vergeben, wenn ich denke, ein bißchen weniger
     Tugend und ein bißchen mehr Liebenswürdigkeit wären für seine Umgebung besser gewesen, auch für die ihm völlig ergebenen Diener,
     wie
il bello muto
, seinen Sekretär, oder für einen Mann wie Francesco Peretti, seinen Adoptivsohn, dem er besonders zugetan war.
    Man muß freilich zugeben, daß er dem
bello muto
und Francesco Peretti gegenüber eine gewisse Güte an den Tag legte. Er gab sich einige Mühe, für seinen Sekretär eine Zeichensprache
     zu erfinden, die es diesem ermöglichte, sich schneller mit seinem Herrn zu verständigen. Und in bezug auf Francesco tat er
     sein Bestes – oder glaubte es zu tun –, um dessen Glück zu sichern. Allerdings war absolute Unterwerfung unter seine herrischen
     Launen der Preis, den beide hundertfach zu zahlen hatten für diese Wohltaten.
    Gewiß, die Tugend des Kardinals war ohne Fehl und Tadel. Doch es gibt auch ein Übermaß an Vortrefflichkeit.
Tutior est locus in terra quam turribus altis:
man lebt sicherer auf der Erde als auf hohen Türmen. Wer fällt, fällt dann weniger tief! Ich sage es in aller Bescheidenheit:
     meine guten Eigenschaften gelten vor Gott vielleicht nur wenig. Deshalb schäme ich mich nicht, zuzugeben: wenn die Ungnade
     Montaltos mir die Gunst Seiner Heiligkeit eintrug, geschah dies weniger auf Grund meiner eigenen Verdienste als wegen der
     Feindseligkeit Gregors XIII. gegenüber Seiner Eminenz.
    In Rom weiß jeder alles, aber niemand spricht es aus. Da ich kein Römer bin, wären mir die Ursachen dieser Aversion für immer
     verborgen geblieben, wenn nicht Kardinal di Medici mir eines Tages davon erzählt hätte. Seine illustre, mächtige Familie machte
     den Kardinal so unantastbar, daß er gelegentlich |37| die Wahrheit sagen konnte, und das sogar im Vatikan.
    Dem Kardinal zufolge – ich gebe seine Anspielungen hier im Klartext wieder – liebte Seine Heiligkeit Montalto

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