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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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gebieterische Ungeduld etwas Königliches hatte.
    Wenn ich damals bei Vittorias Eintritt Seine Eminenz gebeten hätte, mich zurückziehen zu dürfen, da diese Zusammenkunft |41| ja ein Familienproblem betreffe, mit dem ich nichts zu schaffen habe, wäre ich nicht das Opfer seiner brutalen Ungnade geworden.
     Aber wie man gesehen hat, muß ich heute aus gutem Grunde meiner Neugier dankbar sein, die mich verleitete zu bleiben. Gewiß,
     die Schönheit Vittorias war in ganz Italien berühmt, doch als Unverheiratete erschien sie zur Messe nur mit Maske und in einem
     langen, die Figur verhüllenden Cape. Ich hatte sie daher noch nie wirklich gesehen, geschweige denn gehört, und ich konnte
     mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das junge Mädchen dem Minotaurus die Stirn bieten würde.
    So wie der heilige Augustinus hatte auch ich in meiner Jugend einige Stürme zu bestehen, und wie Seiner Heiligkeit Gregor
     XIII. ist mir aus diesen Stürmen ein Sohn geblieben. Seit ich jedoch den Kardinalspurpur trage, bin ich von solchen Verirrungen
     frei, und das Alter, dafür sorgt die göttliche Vorsehung, ist mittlerweile ebenfalls ein Garant meiner Tugend. Das heißt allerdings
     nicht, daß ich mit dem Dichter Terenz ausrufe:
Deleo omnes dehinc ex animo mulieres:
fortan vertreibe ich alle Frauen aus meinen Gedanken. Ganz im Gegenteil! Da ich mich ihrer nicht mehr bedienen kann, bin ich
     schon von ihrer Schönheit allein hingerissen. Und da mich bei ihrem Anblick nur noch ästhetische Empfindungen bewegen, bin
     ich jetzt unvergleichlich kritischer in der Beurteilung ihrer Reize als zu der Zeit, wo noch das aufrührerische Blut mich
     bedrängte.
    Ich bin deshalb oft von einer römischen Dame enttäuscht, deren Schönheit man mir vorher gerühmt hat: ihre Unvollkommenheiten
     springen mir ins Auge. Nicht so, als Vittoria in Montaltos baufälligem Palast erschien und die alten Mauern zum Leuchten brachte.
    Ich hätte nicht geglaubt, daß sie so groß und bei ihrer Größe so graziös sei, was sie durch die Art bewies, wie sie vor dem
     Armstuhl des Kardinals niederkniete: ihr weiter Reifrock bauschte sich um ihre schlanke Taille, und ihr langes Haar bildete
     eine wahrhaft königliche Schleppe, während sie mit jenem bescheidenen und zugleich ernsten und stolzen Ausdruck im Gesicht,
     der mich bei dieser ersten Begegnung so stark berührte, Seiner Eminenz die Hand küßte. Ich sah sie nur im Profil, weshalb
     ich geräuschlos hinter den Sessel des Kardinals trat, um sie von vorn zu beobachten. Doch ihre Züge waren makellos, von welcher
     Seite man sie auch betrachten mochte. Als sie Montaltos |42| Ring geküßt hatte und wieder den Kopf hob, wurde ich von dem Licht ihrer großen blauen Augen förmlich geblendet. Ich sage
     »Licht« und nicht »Glanz«, um zu betonen, daß dieses Licht ebenso von ihrer schönen Seele wie von ihrer Iris ausging.
    Ich könnte nicht sagen, ob einige Strahlen dieser Schönheit das dicke Fell Montaltos – oder sollte ich eher von einem Panzer
     sprechen? – zu durchdringen vermochte, aber als er sich an sie wandte, war sein Blick tatsächlich weniger bohrend, seine Stimme
     weniger hart.
    »Signorina«, sagte er in beinahe höflichem Ton, »setzt Euch bitte.«
    Was sie dann tat, nachdem sie ihre goldene Mähne nach vorn genommen hatte, um sie sich über den Schoß zu legen. Diese Geste
     mußte dem Kardinal mißfallen, denn sie lenkte seine Aufmerksamkeit unabsichtlich auf eine typisch weibliche Zierde, die ihm
     verdammungswürdig erschien; er runzelte die Brauen und sagte mit seiner üblichen Grobheit:
    »Könnt Ihr Euer Haar nicht zum Knoten aufstecken, statt es wie eine Fahne zu entfalten?«
    Vittoria schien die Unhöflichkeit dieses Vorschlags nicht bemerkt zu haben und antwortete, ohne mit der Wimper zu zucken,
     schlicht und einfach:
    »Ich habe es versucht, aber die Last am Hinterkopf ist so groß, daß ich das Gleichgewicht verliere.«
    »Dann schneidet es ab!« sagte Montalto, und seine schwarzen Augen blitzten wütend.
    »Ich möchte gern«, entgegnete Vittoria mit der gleichen unbeirrbaren Sanftmut. »Denn es ist mir hinderlich und lästig. Doch
     ich kann nicht. Meine Mutter ist entschieden dagegen.«
    »Dos est magna parentium virtus«
1 , sagte Montalto mit beißender Ironie und warf mir einen vielsagenden Blick zu, denn Tarquinias Ruf stand allgemein fest.
    Ich wollte schon mit einem halben Lächeln auf Montaltos boshafte Bemerkung antworten, hielt mich aber zurück: mir

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