Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
gesehen!« wunderte sich Vittoria.
    »Er braucht dich nicht gesehen zu haben, um dich zu verabscheuen. Der Ruf deiner Schönheit reicht aus. Und was noch schlimmer
     ist: auch deine Liebe zu den Künsten und dein Verstand finden nicht etwa Gnade vor seinen Augen, sondern sind für ihn nur
     erschwerende Umstände …«
    »Ach, Paolo«, sagte sie, umschlang mich mit ihren schönen bloßen Armen und preßte sich an mich, »wenn ich dich nicht hätte,
     wie klein und verloren wäre ich dann in dieser grausamen Welt!«
    Ich schwieg einen Augenblick, voller Liebe und Mitgefühl, aber auch voller quälender Sorge ob der ungewissen Zukunft und meiner
     nicht verheilenden Wunde am Bein, die mir seit kurzem angst machte. Diese Angst nagte an den Wurzeln meines |325| neuen Glücks, von morgens bis abends Vittoria um mich zu haben und des Nachts ihren zärtlichen warmen Körper an meiner Seite
     zu spüren.
    Für zwei Liebende hat auch die Traurigkeit ihren Zauber. Die Nacht nach dem
precetto
war trotz – oder vielleicht gerade wegen – des fürchterlichen Schlags voller Melancholie und voller Wonne. Als wollten wir
     uns beweisen, daß das
precetto
uns nicht trennen könne, hielten wir einander eng umschlungen. Schlafen oder Wachen – eine einzige nicht enden wollende Umarmung.
    Erst bei Sonnenaufgang, als die Vögel wie närrisch in den Bäumen zu zwitschern begannen, erinnerten wir uns wieder an das
     Fallbeil, das der Papst auf uns hatte niedersausen lassen.
    »Mir fällt auf«, sagte Vittoria, »daß Gregor XIII. sich nicht damit begnügt, unsere Verbindung zu annullieren. Er verbietet
     uns auch, in der Zukunft eine neue Ehe einzugehen. Ist das nicht sonderbar? Warum dieses Übermaß an Vorsicht?«
    »Der Papst ist hochbetagt. Er befürchtet, daß sein Nachfolger im Vatikan das
precetto
aufheben könnte. Er will ihm deshalb im voraus die Hände binden.«
    »Was für ein Machiavell! Und welcher Starrsinn! Gibt es denn eine Chance, daß er sich bewegen läßt, zu seinen Lebzeiten noch
     diese Entscheidung zurückzunehmen?«
    »Eine einzige, ziemlich kleine nur«, sagte ich. »Zum ersten Mal ist eine einflußreiche Familie von einem
precetto
betroffen. Ich werde an die Solidarität der Nobili appellieren. Morgen breche ich nach Rom auf.«
    »Ohne mich?«
    »Ach, Vittoria, wie könnte ich dich dem Gespött des Pöbels aussetzen! Ich werde ruhiger sein, dich in den Mauern von Bracciano
     unter der Obhut deines Bruders zu wissen.«
    Wie angekündigt, ritt ich am nächsten Tag nach Rom, in Begleitung einer starken Eskorte, womit ich gut beraten war. Denn dasselbe
     Volk, das mir sonst, wenn ich auf der Straße auftauchte, so begeistert zugejubelt hatte, begegnete mir jetzt beinahe feindselig
     in seinem tödlichen Groll gegen mich wegen der Niederschlagung der von mir selbst ausgelösten Revolte. Überall nur abgewandte
     Gesichter, geballte Fäuste, gemurmelte Flüche. Man spuckte hinter uns her und warf sogar einen Stein nach mir, der meinen
     Reitknecht am Ohr traf, so |326| daß er blutete. Ich hatte meine liebe Not, meine Männer zu beruhigen, die losschlagen wollten. Aber sollte ich Gregor XIII.
     die Gelegenheit geben zu sagen, meine Anwesenheit in Rom schaffe nichts als Unruhe? Ich beschloß, fortan nur noch in einer
     Kutsche auszufahren, die nicht mein Wappen und deren Eskorte nicht meine Livree trug.
    Kaum war ich abgestiegen – unter Schmerzen, denn meine Wunde tat bei jeder heftigen Bewegung weh –, rief ich meinen Sekretär
     und diktierte ihm einen Brief, in dem ich in den ehrerbietigsten Worten um eine Audienz beim Heiligen Vater bat. Ich ließ
     das Schreiben sofort überbringen und erhielt am nächsten Morgen eine höfliche, aber sehr knappe Antwort: der Papst bedauere,
     mich nicht empfangen zu können. Er sei leidend und müsse das Zimmer hüten.
    Da der Papst in dem Ruf stand, sich einer ausgezeichneten Gesundheit zu erfreuen, wußte ich nicht, ob ich dieser Entschuldigung
     Glauben schenken sollte. Mein Schwager, Kardinal di Medici, hätte mir in diesem Punkt Auskunft geben können, doch seit er
     das
precetto
veranlaßt hatte, mochte ich in ihm keinen Freund mehr sehen. Ebenso war es mir wegen der Haltung des Großherzogs von Toskana
     zu meiner Heirat nicht möglich, den mir sehr verbundenen Botschafter von Florenz aufzusuchen. Und Lodovico hatte ich seit
     den Enthüllungen des Mönchs, den
il mancino
mir herbeigeschafft hatte, stillschweigend meine Zuneigung entzogen.
    Ich fand mich nun in einer

Weitere Kostenlose Bücher