Idol
schwierigen Situation: Vittoria war nicht bei mir; meine Wunde schmerzte; der Papst hatte mir die
Audienz verweigert; das römische Volk hatte mir einen bösen Empfang bereitet; die Familie meiner ersten Gemahlin war mir feindlich
gesinnt; und Lodovico hatte mich verraten. Mir schien, die Welt, in der ich bisher gelebt hatte, brach rund um mich zusammen
und ließ mich einsam und allein zurück.
Doch ich bemühte mich alsbald, gegen die Niedergeschlagenheit anzukämpfen, die mich befallen hatte. Ich besaß viele Freunde
unter den römischen Adligen, der älteste und getreueste war zweifellos der Marchese Giulio Savelli, dessen Sohn Silla zusammen
mit Raimondo in dem Scharmützel, das den Aufstand auslöste, getötet worden war. Ich ließ ihm ein Billett überbringen mit der
Bitte, mich zu empfangen, und am gleichen Abend noch erhielt ich von ihm folgenden Brief:
|327| »Carissimo Paolo,
ich liege im Bett und bin außerstande, Dich zu empfangen. Kaum daß ich noch genug Kraft habe, diese Zeilen an Dich zu diktieren.
Die Gründe für Deinen Besuch kann ich mir denken. Das
precetto
, mit dem Deine Ehe aufgelöst wurde, hat mich mit Empörung erfüllt, woraus ich auch niemals ein Hehl gemacht habe. Aber ich
muß Dir leider sagen, daß ich im römischen Adel fast der einzige bin, der so denkt. Deine sogenannte Mesalliance wird einhellig
mißbilligt, und aus diesem Grunde war man mit dem
precetto
nicht unzufrieden. Diese Reaktion erklärt sich zweifellos aus dem unter den Unsrigen so weit verbreiteten Adelsdünkel, aber
auch schlicht und einfach aus der Eifersucht, weil Deine Gemahlin eine so schöne und vollkommene Frau ist.
Einem großen Kriegsherrn wie Dir brauche ich wohl kaum nahezulegen, äußerst umsichtig zu sein, denn das Kräfteverhältnis hat
sich zu Deinen Ungunsten verändert. Wenn Du nämlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt irgend etwas gegen den Heiligen Vater unternehmen
wolltest, hättest Du weder Lodovico, der verbannt und verjagt worden ist, noch das Volk, das Dich jetzt ebenso verabscheut,
wie es Dich früher geliebt hat, noch die Nobili auf Deiner Seite.
Trage Dein Schicksal in Geduld,
carissimo
: der Papst ist vierundachtzig und wird trotz seines blendenden Aussehens nicht ewig leben. Als ich ihn zuletzt sah, schien
er mir verändert: er sprach weniger geläufig und redete eher weinerlich.
Ich allerdings werde sicherlich noch vor ihm sterben. Der Tod meines Lieblingssohnes Silla war ein schrecklicher Schlag für
mich. Mein Gesundheitszustand verschlechtert sich von Tag zu Tag. Doch das ist eigentlich nicht wichtig: ich habe lange genug
gelebt. Und mein Leben kommt mir heute so sinnlos vor. Ich bereue vieles, was ich getan, vor allem daß ich Della Paces Kopf
gefordert habe. Sein Ende war ungerecht und grausam und hat mir meinen Sohn nicht wiedergegeben.
Ich empfehle mich Deiner Frau Gemahlin. Der Nachfolger Gregors XIII. wird ihr und Dir vielleicht besser gesinnt sein.
Was mich betrifft, so bleibe ich bis zur Stunde meines Todes Dein alter und getreuer Freund.
Marchese Giulio Savelli«
Beim Lesen von Savellis Brief wurde mir klar (trotz aller tröstlichen Zuneigung, die daraus sprach), daß ich meine Hoffnung |328| auf die Solidarität des Adels zu Grabe tragen mußte. Der Papst war wirklich sehr raffiniert zu Werke gegangen. Wäre ich nach
dem Aufstand exkommuniziert worden, hätte er alle Nobili gegen sich aufgebracht, weil sie ebenfalls beteiligt gewesen waren
und folglich das gleiche Schicksal befürchten mußten. Indem er sich jedoch damit begnügte, durch sein
precetto
eine Ehe aufzulösen, die besagte Nobili mißbilligten, isolierte er mich von ihnen und konnte mich ungestraft zum Sündenbock
machen.
Da ich indes die Gültigkeit des
precetto
stark anzweifelte, beschloß ich, einen Theologen zu konsultieren. Ich ließ Pater Luigi Palestrino um einen Besuch bei mir
bitten. Seine Antwort wurde mir mündlich überbracht: ich solle ihm bei Einbruch der Nacht eine Kutsche ohne Wappen schicken,
und nichts von dem, was er mir während unseres Gesprächs sagen würde, dürfe nach außen dringen, andernfalls werde er alles
laut und öffentlich dementieren. Diese Vorsicht erschien mir nur natürlich angesichts der herrschenden Tyrannei, und ich akzeptierte
seine Bedingungen.
Pater Luigi Palestrino hatte einen so ausgemergelten kleinen Körper, daß man sich fragte, wie sich sein riesiger Kopf überhaupt
darauf halten konnte. Dieser Kopf war
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