Idol
deutlich von Gregor XIII. unterscheiden«, begann Santa Severina. »Er ist ein tugendhafter, fähiger und sehr
arbeitsamer Mann.«
»Ich schätze Montalto«, meinte Kardinal d’Este. »Er hat die Pension von Philipp II. ausgeschlagen.«
»Aber er hat für Farnese gestimmt«, hielt Alessandrino dagegen.
»Eine einfache
captatio benevolentiae
1 «, sagte Medici. »Er |368| wußte genau, daß Farnese seit dem Krawall des Pöbels nicht mehr die Spur einer Chance hatte.«
»Und Ihr, Cherubi?« fragte d’Este und hob die Brauen. Alle schauten zu mir, denn jedermann kannte die Differenzen, die es
zwischen mir und Montalto gegeben hatte.
»Ich bin Montalto zutiefst dankbar«, antwortete ich mit gespieltem Ernst, »daß er mich ›zu meinen Gondeln‹ zurückgeschickt
hat. Ohne diese Entlassung wäre ich niemals Kardinal geworden. Ich werde für Montalto stimmen.«
Die ganze Runde lächelte, also hatte ich mich wohl einigermaßen geistreich aus der Affäre gezogen. Wenn die Chancen Montaltos
stiegen (was sehr wahrscheinlich war), wäre es gut – so meine Überlegung –, einer seiner engagierten Befürworter zu sein:
meine venezianischen Ambitionen bedurften der wohlwollenden Zustimmung des künftigen Papstes.
»Das Gute an Montalto ist – abgesehen von seinen persönlichen Qualitäten –, daß er nach Perettis Tod nur noch Neffen hat,
die für Staatsämter zu jung sind. Der Nepotismus Gregors XIII. war abscheulich: nachdem er seine ganze Verwandtschaft versorgt
hatte, blieben keine hohen Posten mehr übrig, die nach Verdienst hätten vergeben werden können«, sagte Rusticucci.
Man stimmte zu, nicht ohne eine gewisse Belustigung. Denn keinem war entgangen, daß »nach Verdienst« im Klartext heißen sollte:
»an Rusticucci«.
»Alessandrino?« fragte Medici.
»Ich bin natürlich einverstanden«, antwortete der, wie immer von oben herab. »Warum sollten wir gegen diesen armen Alten stimmen?
Er wird in uns seine Meister finden.«
»So, glaubt Ihr?« fragte Medici.
Fürst Paolo Giordano Orsini,
Herzog von Bracciano:
Am 11. April, also zehn Tage vor Eröffnung des Konklaves, nahmen meine Theologen die Beratung über das
precetto
auf. Und zwölf Tage später hatten sie immer noch nichts beschlossen.
Durch eine raffinierte Vorrichtung, die ich meinem Großvater und seinem Architekten zu verdanken habe, konnte man |369| die Stimmen aus dem Saal, den ich den Theologen in Montegiordano zur Verfügung gestellt hatte, in dem darüber liegenden Raum
hören. Ich hatte den Plan gefaßt, heimlich und aus der Entfernung die Debatte zu verfolgen, um mich über den Fortgang der
Dinge zu vergewissern. Doch da die Theologen ihr Latein sprachen, verstand ich kein Wort. Ich bat Vittoria um Hilfe. Mit aufmerksam
gerunzelter Stirn hörte sie ihnen eine reichliche Stunde zu und berichtete mir dann:
»Sie wägen endlos das Für und Wider ab, wobei sie sich zumeist auf Zitate aus der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern stützen.
Was immer sie vortragen, sie finden stets eine entsprechende Textstelle als Beleg für ihre jeweilige Ansicht. Sie sind sich
in keinem Punkt einig, nicht einmal darüber, was Unser Herr Jesus Christus über die Auflösung des Ehebundes meinte: die einen
behaupten, er sei eher dafür, die anderen, er sei dagegen gewesen. Sie streiten leidenschaftlich. Jeder attackiert heftig
die Meinung des anderen.«
»Liebste, Ihr seid ebenso klug wie schön, und ich bewundere Euch, daß Ihr diese Pedanten verstehen könnt, die vielleicht auch
rechte Schlauberger sind. Denn ich fürchte, sie werden uns mit ihren Tricks so lange hinhalten, bis eines schönen Tages das
Konklave uns einen Papst beschert, ohne daß sie zu einer Entscheidung gekommen sind.«
»Das fürchte ich auch, Paolo. Mir ist beim Zuhören aufgefallen, daß mit Ausnahme von Pater Palestrino, der sie immer wieder
daran zu erinnern versucht, worum es eigentlich geht, niemand von unserem
precetto
redet.«
»Unser
precetto
!« rief ich. »Wie seltsam, dieses Possesivpronomen! Doch Ihr habt recht, Vittoria, es ist wirklich unser, wie eine Krankheit,
die uns verzehrt, wie ein Blutegel, der an unserer Haut klebt.«
Es war nicht gut gewesen, von einer »Krankheit, die uns verzehrt« zu sprechen. Vittorias schönes Gesicht verdüsterte sich,
und ich begriff, daß sie an meine Schenkelwunde dachte, die sie stark beunruhigte, sosehr ich mich auch mühte, ihr das Fortschreiten
des Übels zu
Weitere Kostenlose Bücher