Idol
an!«
»Ehrwürdige Patres«, sprach ich mit Entschlossenheit, »bitte laßt uns nicht streiten. Ich schreibe Euch Eure Entscheidung
nicht vor. Ich will sie nur beschleunigen.«
Ich grüßte mit einem leichten Kopfnicken, verließ den Saal und verriegelte hinter mir die Tür.
Vittoria, der ich die Geschichte erzählte, sah mich groß an und sagte:
»Ich stelle mir vor, wie sie vor Wut schäumen.«
»Zumindest wollen sie diesen Eindruck erwecken. In Wirklichkeit sind sie begeistert. Jetzt ist alles viel einfacher für sie:
Wenn ihre Ansicht über das
precetto
den Zorn des künftigen Papstes auf sie lenkt, können sie sich hinter dem Argument verstecken, ich hätte ihnen Gewalt angetan,
und sagen: ›Was sollten wir machen, Allerheiligster Vater? Der Fürst hat uns genötigt!‹«
Ich beschränkte mich nicht darauf, die Theologen einer ebenso strengen Klausur zu unterwerfen, wie sie den Kardinälen im Konklave
auferlegt war, sondern schickte ihnen stündlich meinen Majordomus, um nachfragen zu lassen, wie weit sie mit ihrer Arbeit
seien.
Diese Hartnäckigkeit trug Früchte, denn um sechs Uhr abends brachte mir der Majordomus eine Rolle, deren Siegel ich sofort
erbrach. Aber da das Schriftstück in Latein abgefaßt war, mußte ich warten, bis Vittoria, die in ihrem Zimmer ruhte, meiner
Bitte folgte und es mir übersetzte.
Hier nun das Gutachten, wie ich es aus dem Gedächtnis mit einfachen Worten wiedergeben kann, denn es war eingebettet in die
Rhetorik der Kirchensprache, die ich hier nur andeuten kann.
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Punkt eins:
Wir haben mit großer Beflissenheit das
precetto
studiert, durch welches der tief betrauerte Allerheiligste Papst Gregor XIII. das Eheband zwischen dem Fürsten Paolo Giordano
Orsini, Herzog von Bracciano, und Signora Vittoria Accoramboni, Witwe des Signor Francesco Peretti, aufgelöst hat. Sowohl
wegen seines fehlerhaften Lateins als auch wegen der wenig stichhaltigen Entscheidungsgründe deucht uns, als sei dieses
precetto
nicht vom Heiligen Vater selbst, sondern von einem Sekretär verfaßt worden.
Punkt zwei:
Die im
precetto
für die Auflösung der Ehe angeführten Gründe sind moralischer Natur. Es wird suggeriert – aber nicht klar gesagt –, daß besagte
Ehe anstößig sei, weil Francesco Peretti auf Befehl des Fürsten ermordet worden und die Signora heimliche Komplizin dabei
gewesen sein soll. Einerseits wird in keiner Form ein Beweis erbracht, um diese implizierte Anschuldigung zu belegen, andererseits
läßt der Untersuchungsbericht des Bargello, von dem wir Kenntnis genommen haben, keinerlei Rückschlüsse auf eine Schuld der
Betroffenen zu. Auch war, als Signora Vittoria Accoramboni in der Engelsburg eingekerkert wurde, keine Rede davon, sie vor
ein Gericht zu stellen. Daraus läßt sich vermuten, daß die gegen sie sprechenden Verdachtsmomente zu geringfügig waren, um
den Richtern vorgetragen zu werden.
Punkt drei:
Das
precetto
wurde erlassen auf Antrag zweier durchlauchtigster Herren, deren Namen wir hier aus ehrenwerten Gründen verschweigen und die
beide angeheiratete Verwandte des Fürsten Orsini sind. Die Motive, auf die in ihrem Antrag vorrangig Bezug genommen wird,
sind moralischer Art und mit denen identisch, die wir weiter oben bereits untersucht haben. Es bleibt also unserer Analyse
nichts hinzuzufügen. Allerdings liegt der Gedanke nahe, daß weltliche Beweggründe die Antragsteller beeinflußt haben, die
vielleicht meinten, eine Wiederheirat des Fürsten Orsini könnte den Interessen seines Sohnes aus erster Ehe schaden.
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Erste Schlußfolgerung:
Trotz der Schwächen, Auslassungen und Ungenauigkeiten, welche die Entscheidungsgründe des
precetto
aufweisen, darf dieses nicht als hinfällig angesehen werden auf Grund der Heiligkeit des tief betrauerten Allerheiligsten
Papstes Gregor XIII., der durch die Eingebung des Heiligen Geistes ex cathedra befunden und geurteilt hat. Es darf auch nicht
unterstellt werden, der Tod des tief betrauerten Allerheiligsten Papstes Gregor XIII. mache obengenanntes
precetto
ungültig, ohne daß dies ausdrücklich von seinem Nachfolger erklärt wird.
Zweite Schlußfolgerung:
Andererseits kann das im
precetto
den Betroffenen auferlegte Verbot, eine neue Ehe einzugehen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als zwingend angesehen werden.
Erstens, weil der so tief betrauerte Allerheiligste Papst Gregor XIII., der zu seinem Schöpfer in die ewige Glückseligkeit
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