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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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gerade zur Morgenmahlzeit
     zu Tisch, und wenn Ihr sofort eingeführt würdet, wären zur Verlesung der Bullen, durch die Ihr als |362| Wähler eingesetzt werdet, reichlich zwei Stunden notwendig, was denen von uns, die jetzt eine Stärkung zu sich nehmen möchten,
     sehr zum Nachteil gereichen würde.«
    Diese wohlgesetzten Worte wurden auf der anderen Seite des Türfensterchens schlecht aufgenommen: »Seine Eminenz der Kardinal-Erzherzog«,
     sagte Olivares schroff, »kann sich auf keinen Fall vor einer verriegelten Tür die Beine in den Bauch stehen, während seine
     Confratres sich den Wanst vollschlagen – was zweifellos ihr gutes Recht ist. Wenn sie aber während des Essens einen Papst
     wählen, wäre das eine schwerwiegende Verletzung der Rechte des Kardinal-Erzherzogs. Ich erkläre daher: wird dem Kardinal-Erzherzog
     nicht unverzüglich Zutritt gewährt, betrachtet mein Herr und König jede Wahl in Abwesenheit des Kardinal-Erzherzogs für null
     und nichtig.«
    Diese unerhörte Drohung verschlug uns die Sprache: durch den Mund seines arroganten Botschafters stellte Philipp II. schon
     im voraus die Souveränität des Konklaves in Frage. Wir waren alle – wohlgemerkt: alle, auch die treuesten Anhänger Spaniens
     unter uns – so vor den Kopf geschlagen, daß wir zunächst nicht wußten, was wir sagen oder tun sollten.
    Wieder rettete Medici die Situation. Er trat an das Guckfenster und sagte:
    »Wollen Euer Eminenz sich ein paar Minuten gedulden, wir möchten uns untereinander verständigen.«
    Und mit sicherer Hand verschloß er die Öffnung. Medici, obzwar höchst rücksichtsvoll gegenüber der spanischen Macht, fürchtete
     diese ebenso wie auch sein Bruder, der Großherzog von Toskana, wie die Republik Venedig und wie der Bruder von Kardinal d’Este,
     der Herzog von Ferrara. Diese blühenden, ruhmreichen, aber kleinen Fürstentümer waren besorgt, sie könnten das gleiche Schicksal
     wie Mailand und das Königreich Neapel erleiden und an Philipp II. fallen, dessen Gier nach Landbesitz genauso unermeßlich
     groß war wie sein Imperium.
    Irgend jemand entsann sich nun, daß der österreichische Erzherzog nur Kardinal-Diakonus war und die Weihen überhaupt nicht,
     den Kardinalspurpur nur aus Gefälligkeit erhalten hatte. Gemäß einer Bulle von Pius IV. mußte man aber geweihter Priester
     sein, um am Konklave und an der Wahl teilnehmen zu können. Da ging durch das Konklave eine freudige Bewegung, die aber sofort
     wieder verebbte. Wer von uns würde die |363| Kühnheit haben, der Katze Olivares die Schelle umzuhängen, jenem Olivares, der schon wieder ungeduldig an die Pforte klopfte
     mit seiner eisernen Faust, die niemals Samthandschuhe getragen hatte?
    Medici erklärte sich für nicht zuständig und machte geltend, er habe sich schon zweimal mit Olivares angelegt. Daraufhin wurde
     ich bedrängt. Man gab mir in höflichen Worten zu verstehen, daß es bei mir auf eine Tölpelei mehr oder weniger nicht ankomme.
     Ich lehnte entschieden ab. Nach einer hastig eingenommenen Mahlzeit, die damit endete, daß alle Anwesenden sich eiligst zurückzogen,
     opferte sich schließlich Kardinal d’Este, wofür man ihm nicht einmal den gebührenden Dank zollte. Alle Welt kannte seine pro-französische
     Haltung: er hatte folglich bei den Spaniern nichts mehr zu verlieren.
    Kardinal d’Este spürte diesen Undank nur allzu deutlich, stieß sich jedoch nicht daran, ging festen Schrittes zu der verriegelten
     Pforte, öffnete das Guckfenster und sagte:
    »Vergebung, Euer Eminenz, das Konklave kann Euch leider keinen Zutritt gewähren: nach der Bulle ›In Eligendis‹ von 1503 dürfen
     nur geweihte Priester am Konklave teilnehmen.«
    Und wieder sprach Olivares für den Kardinal-Erzherzog.
    »Diesen Einwand haben wir vorausgesehen«, sagte er trocken. »Hier ist ein Dokument, das ihn hinfällig macht: eine Bulle Gregors
     XIII., die den Kardinal-Erzherzog von den Weihen dispensiert, ihm aber dennoch das Wahlrecht im Konklave zuerkennt. Lest!«
    Olivares schob uns die Bulle durch das Guckfenster, und Kardinal d’Este nahm sie in Empfang und entrollte sie, wobei sich
     einige von uns um ihn drängten, um über seine Schulter hinweg dieses schändliche Schriftstück mitzulesen.
    »Was haltet Ihr davon, Medici?« fragte d’Este bissig. »Ist das wirklich die Unterschrift von Gregor XIII.? Ihr als sein Staatssekretär
     müßt diese Bulle ja wohl verfaßt haben?«
    »Ich kann mich überhaupt nicht mehr daran

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