Idol
aufreißend.
»Ich habe es probiert, und das Resultat nach einer Woche war eine deutliche Verschlechterung meines Leidens. Ich schloß daraus,
daß die Wölfin lieber mein eigenes Fleisch frißt als jedes noch so appetitliche andere, und ich entließ auch diesen Hippokrates.
Und Ihr,
dottore
, welches Mittel schlagt Ihr vor?« fragte er Isacco, halb mißtrauisch, halb hoffnungsvoll.
»Das kann ich erst sagen, wenn ich Eure Wunde untersucht habe, Durchlaucht.«
»Gut«, sagte der Fürst, »sowie sich die Herzogin zur Nacht zurückgezogen hat, will ich sie Euch zeigen.« Isacco war im Palazzo
in einem Zimmer neben dem meinen untergebracht, |417| und als ich ihn gegen elf Uhr von der Konsultation zurückkommen hörte, ging ich zu ihm und fragte ihn nach dem Ergebnis. Isacco
schien sehr schlechter Laune und sagte mürrisch, seine tiefe Stimme dämpfend:
»Leider ist der Fürst bisher stets an Ignoranten geraten, deren medizinische Kunst verbaler Natur war und nur auf Metaphern
beruhte: schlechtes Blut wie trübes Wasser in einem Brunnen! die Wunde eine fleischfressende Wölfin!«
»Auch im Getto gibt es Ärzte, die so argumentieren …«
»Wer wüßte das besser als ich! Kurzum, der Unglückliche hat so viele sinnlose Kuren hinter sich, daß er das richtige Heilmittel
nun nicht mehr will, wenn man es ihm vorschlägt.«
»Und was ist das richtige Heilmittel?«
»Das Bein amputieren, ehe es zu spät ist.«
»Er willigt nicht ein?«
»Er lehnt es rundweg ab«, sagte Isacco ärgerlich. »Er beteuert, lieber sterben zu wollen als verstümmelt leben zu müssen.«
»Verständlich!« rief ich. »So ein schöner Mann! So ein Held! So ein Fürst! Dazu noch verliebt!«
»Was hat denn das damit zu tun?« fragte Isacco, der aus Prinzip nicht verstehen wollte, was er doch sehr gut verstand. »Würdest
du lieber sterben als ein Bein verlieren?«
»Ich bin auch nicht mit der schönsten Frau von Rom verheiratet!«
»Und was würdest du tun?« fragte Isacco, der stolz auf seine Potenz war, seiner Frau jedes Jahr ein Kind machte und auch seine
Mägde schwängerte.
»Was kann man denn anderes für den Fürsten tun?« fragte ich nach einem Moment.
»Du meinst, außer der Amputation?«
»Ja.«
»Nichts.«
»Er wird also sterben?«
»Ja. Dieser Sommer wird sein letzter sein.«
»Ach, Isacco, was für ein schrecklicher Satz«, sagte ich vorwurfsvoll.
Meine Bemerkung erbitterte ihn aufs äußerste.
»Zum Teufel mit deiner Gefühlsduselei, Giuseppe! Soll ich Tränen vergießen über das Schicksal des Fürsten? Er ist mit einem
goldenen Löffel im Mund geboren worden! Er hat alles |418| gehabt in seinem Leben – Ehre, Reichtum, Ruhm, Liebe! Und nun ereilt ihn unser aller Schicksal. Goi oder Jude, es trifft jeden!
Nein, nein, sag nichts! Laß mich, bitte, Giuseppe, ich bin müde. Ich wollte, es wäre schon morgen und ich könnte weg von hier.
Ich mag diesen See nicht. Ich kann seinen Geruch nicht ausstehen. Und nicht diesen Nebel! Es heißt, dies hier sei ein kleines
Paradies. Vielleicht stimmt das sogar, nur müßte man es sehen können. Ich mag auch diesen Palast nicht. Wie kann man in so
hohen Räumen schlafen! Diese Leute hier möchten uns glauben machen, sie seien fünf- oder sechsmal größer als wir. Soll ich
dir was sagen: ich will schleunigst in mein Getto zurück! Und vor allem, vor allem verabscheue ich diese Art von Patienten,
die noch Ansprüche stellen, wenn es um Leben oder Tod geht. Hätte er durchgemacht, was wir in Rom seit Pius V. durchgemacht
haben, vielleicht würde er dann mehr am Leben hängen. Und kannst du mir vielleicht sagen, wozu ich gut sein soll, wenn der
Kranke nicht mit allen Fasern am Leben hängt?«
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|419| KAPITEL XIV
Fürst Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano:
Es bleibt mir nur noch kurze Zeit zu leben. Ich hoffe, ich werde am Ende meiner Tage Mut beweisen, wenngleich Mut unter diesen
Umständen nur eine Eitelkeit mehr ist und an der Sache selbst nichts ändern kann.
Immer habe ich gewußt, daß sich mein Dasein eines Tages vollenden würde, und doch habe ich es nicht wahrhaben wollen. Vielmehr:
ich habe es – im wahrsten Sinne des Wortes – nur wider Willen geglaubt. Und als der nahe Tod zur Gewißheit geworden war, dachte
ich als erstes: Wie! Das geschieht auch dir? Und so bald schon?
Diese Ungläubigkeit ist leicht zu erklären: wie könnte ein denkendes Wesen begreifen, daß sein Denken aufhören wird?
Gott sei Dank,
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