Idol
aufschrie. Danach setzte er sich in lässiger Haltung zwei Stufen höher auf die Treppe.
»Meister Goldschmied«, sagte der Fürst, der mich nicht mit meinem richtigen Namen anreden wollte – er kannte ihn genau, denn
er hatte mehrere Schmuckstücke für seine erste Gemahlin bei mir arbeiten lassen –, der aber auch den christlichen Namen aus
dem Geleitbrief nicht verwenden mochte (viel leicht hatte er ihn schon wieder vergessen), »ich bin erstaunt, |415| Euch hier, so weit von Rom entfernt, zu sehen, und ich bin begierig zu erfahren, was Seine Heiligkeit Euch für uns aufgetragen
hat.«
Ich erklärte ihm, was es mit dem Brief, der Kassette und der Anwesenheit von Isacco auf sich habe.
»Meister Goldschmied, übergebt uns bitte, was der Heilige Vater für uns bestimmt hat«, sagte der Fürst, und Traurigkeit verdüsterte
sein Gesicht. »Und Ihr, Vittoria, wollt Euch vielleicht in Eure Gemächer zurückziehen, um in Ruhe das Sendschreiben zu lesen
und den Inhalt der Kassette zu untersuchen.«
»Wie Ihr wollt, Durchlaucht«, sagte die Herzogin und erhob sich.
Ich übergab dem Fürsten Kassette und Brief. Er legte beides in Vittorias Hände, mit einem zärtlichen Lächeln, das sofort erlosch,
als sie die Stufen zu den Arkaden hinaufstieg und, gefolgt von ihrer Zofe, im Haus verschwand. Nachdem die Frauen in ihrem
prächtigen Staat – die Zofe war kaum weniger elegant gekleidet denn ihre Herrin – sich entfernt hatten, erschien der Hof mit
einemmal glanzlos und viel kälter.
»Dottore«
, wandte sich der Fürst mit ernster Miene an Isacco, »nehmt mir bitte nicht übel, was ich Euch jetzt sage: ich bin der Ärzte
und der Medizin auf den Tod überdrüssig, und wenn ich sage ›auf den Tod‹, dann ist das Wort wohl genau zutreffend, fürchte
ich. Vor vierzehn Jahren, in der Schlacht von Lepanto, hat mich ein Pfeil am Oberschenkel getroffen, und seit vierzehn Jahren
hat mir diese Wunde nur selten Ruhe gegönnt. Ich habe Dutzende von Ärzten konsultiert, einer berühmter als der andere – ich
bin nicht geheilt worden, im Gegenteil, mein Leiden hat sich beständig verschlimmert. Erst unlängst hat meine Gattin, die
Herzogin, zwei berühmte Gelehrte eigens aus Venedig hergebeten, um meine Wunde untersuchen zu lassen. Sie haben sich zunächst
gefragt, wie man das Übel wohl nennen müßte. Wenn ich richtig verstanden habe, schien ihnen dieser Name sehr wichtig zu sein.
Eine geschlagene Stunde lang haben sie diskutiert, bis sie sich schließlich auf
lupa
einigten, was ›die Wölfin‹ heißt. Als ich sie fragte: ›Warum die ‚Wölfin‘?‹, erwiderten sie: ›Weil sie das Fleisch rund um
die Wunde auffrißt.‹ – ›Das ist ein hübscher Name für mein schönes Bein!‹ sagte ich. ›Was schlagt Ihr vor als Therapie?‹ Darauf
sagte der |416| eine, ich müsse morgens und abends zur Ader gelassen werden, und antwortete auf meine Frage nach dem Nutzen: ›Wenn das Wasser
eines Brunnens trübe geworden ist, wird so lange Wasser abgeschöpft, bis es wieder klar ist. Das gleiche gilt für Euer Blut,
Durchlaucht. Wenn wir Euch zur Ader lassen, entziehen wir Euerm Körper das schlechte Blut. Und Eure Wunde wird aufhören, Euch
zu verschlingen.‹«
Der Fürst lächelte mit bitterem Hohn. Anscheinend wartete er auf eine Bemerkung von Isacco, doch als diese ausblieb, fuhr
er fort:
»Ich stimmte dem Aderlaß morgens und abends zu, aber nach einer Woche fühlte ich mich sehr geschwächt, ohne daß meine Wunde
sich gebessert hatte. Ich schloß daraus, daß die Aderlässe zwischen gesundem und schlechtem Blut nicht zu unterscheiden vermochten
und nur das gesunde Blut aus meinem Körper zogen, ohne das schlechte zu beseitigen. Da gab ich dem Arzt sein Honorar und schickte
ihn nach Venedig zurück. Blieb noch der zweite, der über die Abreise seines Kollegen höchlich zufrieden schien und zu mir
sagte: ›Ihr habt tausendmal recht, Durchlaucht. Dieser Mann ist ein Nichtskönner, um nicht zu sagen ein Scharlatan. Er verwendet
für alles immer nur dasjenige Heilmittel, das gerade in Mode ist. Meine Therapie dagegen richtet sich nach dem einzelnen Fall.‹
– ›Und worin besteht sie?‹ fragte ich. – ›Legt täglich eine Kompresse aus frischem Fleisch auf die Wunde. So findet die
lupa
ihre Nahrung woanders und wird nicht mehr das Fleisch Eures Beines verschlingen.‹«
»Und Ihr habt es probiert, Durchlaucht?« fragte Isacco, die Augen vor Staunen weit
Weitere Kostenlose Bücher