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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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ihr. Aber dann bricht er ab:
    »Wollt Ihr Euch auf Euer Zimmer zurückziehen und Euch für das Abendessen schönmachen, Liebste? Ich will indessen |432| ein wenig schlafen. Wenn Ihr fertig seid, zögert nicht, mich zu wecken und mir zu zeigen, wie schön Ihr seid.«
    Er bringt noch die Kraft auf, ihr zuzulächeln, aber kaum ist sie aus dem Zimmer, verliert er das Bewußtsein. Ich rufe den
     Majordomus, und zu zweit gelingt es uns, ihn mit einigen Tropfen Weingeist aus seiner Ohnmacht zu erwecken. Als er wieder
     zu sich gekommen ist, lasse ich ihn in den ersten Stock tragen und auf sein Bett legen. Immerhin hat er noch so viel Kraft,
     uns zu verbieten, ihn auszukleiden. Der Grund ist klar: er will Vittoria nicht beunruhigen.
    Da Regen und Wind aufgehört haben, trete ich durch die Fenstertür, die ich hinter mir zumache, auf die Terrasse hinaus. Ich
     atme in tiefen Zügen. Es ist wieder neblig, aber die Luft ist lau und ruhig. Normalerweise schätze ich die Gesellschaft des
     Fürsten sehr, doch auf die Dauer belastet es mich, daß der Tod als Dritter ständig zwischen uns steht. Ich habe immer geglaubt,
     mein Leben würde kurz sein; ich hänge übrigens auch nicht sehr daran. Aber ich möchte in der mir verbleibenden Zeit frei sein
     von diesem Gewicht, das jetzt dauernd auf meinem Herzen lastet.
    Eine gute halbe Stunde bleibe ich auf der Terrasse. Ich versuche, mich an ein Sonett von Petrarca zu erinnern, das mir Vittoria
     in unserer Jugend unbedingt beibringen wollte. Es gelingt mir, Bruchstücke des Sonetts aus meinem Gedächtnis hervorzukramen
     und nach und nach wieder zusammenzusetzen. Beinahe habe ich es geschafft, es fehlt nur noch ein Vers, der mir entfallen ist.
     Zufrieden mit dem schon Erreichten, grüble ich angestrengt weiter, in der festen Überzeugung, daß die noch fehlenden Worte
     die schönsten sind.
    Kein Hauch, kein Laut. Auch kein Ruderschlag auf dem See, der im Schein der untergehenden Sonne liegt. Hinter mir plötzlich
     ein gellender Schrei. Ich stürze ins Zimmer. Vittoria, in schönstem Aufputz, hat sich über den Fürsten geworfen und schreit
     wie eine Wahnsinnige. Ein Blick genügt: er ist tot.
    Obwohl mir jede Berührung ein Horror ist, lege ich Vittoria die Hand auf die Schulter. Sie stößt mich heftig zurück. Plötzlich
     verstummen ihre herzzerreißenden Schreie. Sie richtet sich auf, ihre Augen sind trocken. Sie greift nach der Pistole auf dem
     Nachttisch und hält sie an ihre Schläfe. Blitzschnell packe ich ihr Handgelenk und reiße den Lauf nach oben. Der Schuß |433| geht los: etwas Stuck von der Zimmerdecke fällt auf die Brust des Fürsten und beschmutzt sein Wams aus schwarzem Samt. Vittoria
     steht da und starrt mit leeren Augen den weißen Fleck auf dem schwarzen Samt an. Ich entwinde ihr die Pistole. Nach einer
     Weile lehnt sie ihre Stirn gegen meine Schulter, umarmt mich und beginnt zu weinen. Bei dem Gedanken, was geschehen wäre,
     wenn ich nicht dagewesen wäre oder eine Sekunde später eingegriffen hätte, befällt mich ein heftiges Zittern. Was wäre ich
     ohne Vittoria? Ein lebender Toter oder ein toter Lebender?
     
     
    Giordano Baldoni,
    Majordomus des Fürsten Orsini:
     
    Am Tag nach dem Tode meines Herrn sagte mir die Herzogin, sie wäre glücklich, wenn ich keine anderen Pläne hätte, sondern
     in ihren Diensten bliebe. Ich willigte sofort ein, ohne ihr zu gestehen, daß ich mich eigentlich nach Genua – dort bin ich
     geboren – hatte zurückziehen wollen, um mich meinen Kindern zu widmen. Aber weil sie so jung, so hilflos, von so vielen Gefahren
     bedroht war und keine Verwandten hatte, die ihr beistanden, außer ihrem Bruder – ein junger, sehr kühner Mann, gewiß, aber
     doch ziemlich unerfahren –, beschloß ich, wenigstens so lange bei ihr in Stellung zu bleiben, bis sie unangefochten das ihr
     vom Fürsten vermachte Erbe würde antreten können.
    Da die Herzogin befürchtete, nicht genug Geld für den Unterhalt der Soldaten ihres verstorbenen Mannes zu haben, wollte sie
     die meisten entlassen. Doch ich bewog sie, wenigstens zwei Dutzend der getreuesten, kampferprobtesten und edelsten zu behalten,
     denn damit stand und fiel die Würde des Hauses. Ich begann umgehend, unsere Abreise nach Padua zum Palazzo Cavalli vorzubereiten.
    Ehrlich gesagt, im Palazzo Sforza mit seiner Zugbrücke, seinen Wassergräben und Türmen wären wir sicherer gewesen als in einem
     Stadtpalais ohne solche Verteidigungsanlagen. Ob dieser Mangel durch die Nähe

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