Idol
einen flüchtigen Kuß auf den Mund, doch sie besteht darauf, mich bis zum Stall zu begleiten,
wo meine Stute auf mich wartet. Ich springe in den |428| Sattel, und sie sendet mir mit den Augen noch einen letzten Kuß nach, wenn sie mir von der Schwelle aus hinterherschaut.
Ich werde froh sein, sie morgen wiederzusehen, und bin froh, sie jetzt zu verlassen. Solch eine Liebe ist ein wenig schwer
zu ertragen. Während ich zum Palazzo Sforza zurückreite, sage ich mir einmal mehr, daß die beste Art, mit einer Frau glücklich
zu sein, darin besteht, nicht mit ihr zusammenzuleben.
Mit Caterina unter einem Dach zu wohnen ist schon schwierig für mich. Sie hat natürlich herausbekommen, daß Margherita in
Salò ist, und macht mir Szenen, gegen die ich völlig machtlos bin. Wenn ich sie schelte, mokiert sie sich. Wenn ich sie züchtige,
bemerkt sie nur,
il mancino
habe sie öfter und härter geschlagen. Sie liebt es, geprügelt zu werden, in Tränen auszubrechen, zu bereuen, sich mir zu Füßen
zu werfen, mich mit wogender Brust anzuflehen, sie »zu vergewaltigen und zu töten«. Wie soll man eine Frau im Zaum halten
und beherrschen, die alles in Wollust verwandelt, sogar die eigene Bestrafung?
Obwohl Vittoria so große Angst hat, den geliebten Mann zu verlieren, interessiert sie sich noch für andere.
»Warum liebst du niemanden, Marcello?« fragt sie mich.
Und da ich schweige, fährt sie fort: »Warum tust du nichts? Ein Mann muß doch ein Lebensziel haben!«
Auch hierauf antworte ich nicht, doch ich denke: ›Ein Lebensziel? Die Liebe vielleicht? Lachhaft! Gold? Gold macht jeden zum
Sklaven, der ihm untertan ist! Ruhm? Ein eitler Wahn! Ach, Vittoria, um nichts in der Welt würde ich es zu dir sagen, doch
wer wird in zehn Jahren noch wissen, daß der Fürst in der Schlacht von Lepanto so kühn gekämpft hat? Und wer wird sich in
hundert Jahren überhaupt noch an die Schlacht von Lepanto erinnern?‹
Im November verschlimmerte sich alles. Nebel, dichter als je zuvor, breitete sich wieder über den See, wurde aber sogleich
durch einen scharfen Ostwind, der hier
vinezza
genannt wird, auseinandergetrieben. Er brachte Kälte, Regen und Sturm mit sich. Über den eben noch unbewegten, ruhigen See
rollten in Sekundenschnelle schaumgekrönte Wellen, die den Bretterzaun um den kleinen Badestrand zerstörten und den Sand mit
Schlamm bedeckten. Wir mußten die im Hafen vertäuten Galeassen |429| doppelt sichern, die kleineren Rettungsboote in die Wassergräben bringen und dort Wellenbrecher anlegen, damit die Wogen nicht
so heftig gegen die Mauern branden konnten. Mit Baden und Kreuzfahrten war es vorbei. Bald konnten wir uns nicht einmal mehr
auf der Terrasse aufhalten, so sehr war man dort dem Spritzwasser ausgesetzt. Obwohl der Hafen nach Osten zu durch einen starken
Deich geschützt war, trieb die
vinezza
die Gischt über dieses Hindernis hinweg bis zu uns. Anfangs hielten wir uns unter den drei Arkaden auf, die die Terrasse abstützen,
denn der Fürst wollte das Schauspiel der tobenden Naturgewalten genießen. Aber als es auch nach Tagen noch nicht endete, wurde
er seiner müde, zumal er dabei wehmütig der Zeit gedachte, da er noch selbst an Bord seiner Galeasse gegen die jähen Windböen
auf dem Adriatischen Meer ankämpfte.
Die Sonne war hinter dichten schwarzen und grauen Wolken verschwunden. Wenn der Sturm sich legte, wurde er von schrägen Regenböen
abgelöst. Ringsum war nun alles trist und feucht. Fäulnis allüberall. Das Wasser des Sees, im Sommer so klar, war jetzt trübe
und hier und da von gelblichen Schlieren durchzogen. Sein Geruch wurde noch fader, beinahe ekelerregend. Die vinezza fegte
von morgens bis abends um das Haus und ließ nachts die ständig geschlossenen Fenster klappern und klirren.
Sowie wir uns ins Haus zurückziehen und Feuer machen mußten, verfiel der Fürst zusehends, da er nun seiner Kreuzfahrten beraubt
war und die Freude entbehrte, Vittoria beim Baden zuzuschauen. Seltsamerweise bewahrte er sich seinen Appetit. Er aß und trank
wie immer: viel und schnell. Auch während der Siesta war er unverändert aktiv – behauptete jedenfalls Caterina. Doch seine
Stimmung hatte sich gewandelt. Er kapselte sich ab, sprach wenig und wirkte oftmals matt und schläfrig. Manchmal trübte sich
sein Blick und belebte sich erst wieder, wenn er ihn auf Vittoria richtete.
Nie zuvor hatte er sie so ausdauernd und mit so großer Aufmerksamkeit angesehen.
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