Idol
Blicke fernzuhalten. Der Fürst liebte es, sich zu diesem Strand tragen zu lassen, wenn Vittoria, nur mit ihrem
goldenen Vlies bekleidet, dort badete. Sie schwamm |426| gut und ganz allein, denn Caterina hielt kaltes Wasser für ungesund und weigerte sich, auch nur die Fußspitze ins Wasser zu
tauchen. Ich tummelte mich morgens im See, weil ich glaubte, das Glück des Fürsten zu schmälern, wenn ich mich am Nachmittag
zu Vittoria gesellte. Ich leistete ihm aber am Ufer Gesellschaft. Er würfelte mit mir, schaute aber die meiste Zeit auf den
See, wo Vittorias schöner weißer Körper mit der langen Schleppe ihres Haares in den Fluten schimmerte. In unserem Rücken,
hinter dem Kapuzinerkloster, sank die Sonne immer tiefer, vor uns konnten wir im Nordosten bei sehr klarem Wetter den ewigen
Schnee auf dem Monte Baldo sehen, der sich kaum von den weißen Wölkchen hoch oben am Himmel abhob, die so glücklich über ihre
Freiheit zu sein schienen. Bei ihrem Anblick verstand ich zum ersten Mal, warum auch der schönste See so melancholisch wirkt:
das Wasser ist in ihm gefangen.
An jedem Morgen machten wir in einer der beiden Galeassen eine Spazierfahrt über den See. Obwohl der Fürst liegen mußte und
deshalb einen Steuermann hatte, bestimmte er gern selbst den Kurs wie zu den Zeiten, da er auf der Adria Jagd nach Berber-Piraten
machte. Auf diese Art verschaffte er sich die Illusion, etwas zu tun. Ich weiß nicht, ob Vittoria diese Kreuzfahrten ebenso
liebte wie er, jedenfalls war sie glücklich, daß er dabei auflebte und abgelenkt wurde. Seitdem er nicht mehr laufen konnte,
umgab sie ihn mit Zärtlichkeit und mütterlicher Fürsorge, doch war sie stets bedacht, es ihn möglichst wenig merken zu lassen.
Man muß zugeben, daß die Frauen ein seltenes Talent besitzen, einen Mann zu umschlingen, sei es, um ihn zu ersticken, sei
es, um ihn zu verhätscheln. Sie haben kleine Haftwurzeln wie der Efeu, damit sie sich an ihm festhalten können. Seitdem ich
im Palazzo Sforza bin, läßt Margherita Sorghini mich jeden Tag wissen, wie sehr ich ihr fehle. Auch ich bedaure freilich sehr
ihr Fernsein – trotz der angenehmen Stunden mit Caterina.
Ich liebe Margheritas reife Reize. Es gibt in meinen Augen nichts Herrlicheres als eine Schönheit, die verblüht. Für Margherita
ist die Liebe zu einer Kunst geworden, zu einer Religion. Die verzehrende Sehnsucht zu gefallen macht sie überaus anziehend.
Als ich ihr schrieb, daß ich sie vermißte, ist sie gekommen und hat in Salò ein kleines Haus am Seeufer gemietet. |427| Wenn sich Vittoria und Paolo nach dem Mittagsmahl zur Siesta in ihr Zimmer zurückgezogen haben, lasse ich mein Pferd satteln,
reite im Galopp nach Salò und verbringe eine Stunde mit Margherita.
Einmal habe ich sie gefragt:
»Was machst du eigentlich, wenn ich nicht bei dir bin, Liebste?«
»Ich warte auf dich.«
»Glaubst du, ich verdiene so viel Liebe? Schließlich bin ich, wie der Papst, als er noch Kardinal Montalto war, sehr richtig
von mir sagte, ein verdächtiges Individuum: ich bin verlogen, egoistisch, faul und hartherzig und beute dich unbarmherzig
aus.«
»Du bist nicht hartherzig, und ich liebe dich so, wie du bist.«
»Ich habe dir verboten zu sagen: ich liebe dich.«
»Na gut, dann eben: ich liebe dich nicht«, sagte sie mit ihrem hinreißenden, langsamen Lächeln.
In solchen Momenten kann ich geradezu spüren, wie sich die kleinen Haftwurzeln überall auf meiner Haut festsaugen. Am Anfang
hat mich das beunruhigt. Doch jetzt finde ich es gefahrlos. Für mich ist die Liebe eine aus dem Begehren und dem Vergnügen
erwachsende Illusion. Der Mann, der das einzige Säugetier ist, das sich zu jeder Tages- und Jahreszeit paaren kann, empfindet
dabei eine gewisse Zuneigung für das Weibchen. Eine Zuneigung, die das Weibchen natürlich erwidert, weil es in den meisten
Fällen von ihm verteidigt und ernährt wird. Weiter hat es nichts auf sich mit der Liebe.
Aber wenn ich so etwas zu Margherita sage, empört sie sich trotz ihrer Angst, mir zu mißfallen.
»Vielleicht trifft das auf deine Beziehung zu mir zu, aber ganz gewiß nicht auf meine Beziehung zu dir. Ich lie…«
Gerade noch rechtzeitig bricht sie ab und rettet sich mit der von mir so bewunderten Gewandtheit der Frauen auf sicheres Terrain.
»Du zum Beispiel betest Vittoria an.«
Ich zucke mit den Achseln.
»Das ist etwas ganz anderes: Vittoria, das bin ich.«
Dann gebe ich ihr zum Abschied
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