Idol
»Wenn Ihr sie nicht erfüllt, wird Euch das Service
nicht ausgehändigt.«
»Man merkt deutlich, daß Ihr in einer anderen Welt aufgewachsen seid als ich, Signora«, stieß der Graf zwischen den Zähnen
hervor. »Sonst hätte Euch mein Ehrenwort genügt.«
Darauf sagte Signor Marcello ganz ruhig: »Statt daß man |436| Euch für Eure unbedachte Großzügigkeit dankt, Vittoria, werdet Ihr noch geschmäht und beschimpft. Es bedarf nur eines Wortes
von Euch, und ich stoße diesem Flegel meine Klinge zwei Zoll tief in den Leib.«
Erst jetzt bemerkte ich, daß Marcello daran gedacht hatte, sich Degen und Dolch umzugürten, ehe er zu uns stieß.
»Du wagst es also, mich zu beschimpfen, elender Schurke!« schrie der Graf. »Und du glaubst es ungestraft tun zu können, weil
du sehr wohl weißt, daß du von viel zu geringer Herkunft bist, als daß ich die Klinge mit dir kreuzen würde!«
»Ihr habt recht, das weiß ich«, sagte Marcello verächtlich und zog mit unverschämter Betonung jedes Wort in die Länge. »Statt
Euch selbst einer Gefahr auszusetzen, laßt Ihr die Leute lieber in ihrer Kutsche oder von gedungenen Mördern auf der Straße
umbringen.«
Die »Kutsche« spielte auf die Ermordung Vitellis an, die »Straße« auf den Mord am ersten Gemahl der Herzogin. Der Graf verfärbte
sich, und seinen gerade geäußerten Worten zum Trotz legte er die Hand auf den Griff seines Degens.
»Hier habe ich zu gebieten«, sagte die Herzogin mit lauter Stimme, »und ich befehle, daß dieser Streit sofort aufhört. Verhaltet
Euch bitte ruhig, Marcello. Und Ihr, Herr Graf – wenn Ihr wieder ausfällig werdet, lasse ich Euch von meinen Leuten zur Tür
geleiten.«
»Signora«, sagte der Graf und machte mit kaum verhehltem Hohn eine übertrieben tiefe Verbeugung, »ich unterwerfe mich voll
und ganz Euerm Willen und unterzeichne die Empfangsbestätigung, wenn Ihr darauf beharrt.«
Diese freche Verbeugung und der vorgetäuschte Respekt erzürnten die Herzogin, und sie sagte kalt:
»Bitte, Baldoni, laßt das Service des Herrn Grafen holen.«
Dann nickte sie dem Eindringling kurz zu und wandte sich zum Gehen.
»Signora, bitte beraubt mich nicht so schnell des Vergnügens Eurer charmanten Gesellschaft!« sagte der Graf in einem Ton,
dessen Höflichkeit nur mühsam den Spott verbarg. »Als Beauftragter des Fürsten Virginio habe ich noch weitere Forderungen
vorzutragen.«
»Also gut, Graf, ich höre«, sagte die Herzogin.
Aber sie zog sich, gefolgt von Signor Marcello, an das andere |437| Ende des Saals zurück und ließ den Grafen allein am Kamin stehen, in dem ein kräftiges Feuer prasselte, denn an diesem Dezembernachmittag
war es feucht und kalt. Der Graf tat, als wärme er sich am Feuer die Hände, und drehte ihr den Rücken zu. Er war nur von seinem
Sekretär begleitet, seine Eskorte hatte er auf meine Bitte hin am Tor des Palastes zurückgelassen.
Ich verließ den Saal, um den Befehl der Herzogin auszuführen, und traf, als ich außer Sichtweite des Grafen war, einige Vorsichtsmaßnahmen.
Da die Eskorte des Grafen bewaffnet war, wie ich bemerkt hatte, veranlaßte ich, daß unsere Soldaten sich ebenfalls bewaffneten
und in einem Raum neben dem Saal postierten, in dem die Unterredung stattfand. Anschließend ging ich mit vier kräftigen Dienern
in den Saal zurück und wies sie an, einen langen Tisch von der Wand in die Mitte des Raumes zu rücken, um dort das Service
aufzubauen – in Wahrheit jedoch, um die eventuellen Gegner wenigstens durch dieses Hindernis voneinander zu trennen. Dann
ließ ich von den Dienern das berühmte Geschirr bringen und auf den Tisch stellen. Und soll ich es gestehen? – ich bedauerte
heftig, daß die Herzogin dieses Pfand so schnell aus der Hand gab und einem Banditen überließ, der ihr nicht einmal Dank dafür
wußte; denn das Service bestand aus fein ziselierten, sehr schönen Einzelteilen und war ein Vermögen wert.
»So ist es recht, Signora«, sagte der Graf.
Ich fand dieses allzu magere Dankeschön für ein so großes Geschenk höchst befremdlich.
»Hier ist die Empfangsbestätigung, Herr Graf«, sagte ich und reichte sie ihm über den Tisch. »Ihr braucht nur noch zu unterschreiben.«
Er nahm sie achtlos entgegen und fuhr fort, als hätte er den Gänsekiel übersehen, den ich ihm ebenfalls hingehalten hatte:
»Fürst Virginio wünscht, daß ich ein Verzeichnis der Schmuckstücke anlege, die sich zum Zeitpunkt seines Todes im Besitz
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