Idol
Petrarca, hält Vittoria in der Hand, die anderen beiden stehen auf dem Kaminsims. Vittoria
hebt die Augen und sieht mich an, als käme ich von einem anderen Stern, und sie braucht ewig, bis sie antwortet. Inzwischen
verschlingt mich Caterina mit den Augen. Sie jedenfalls ist ein einfaches Gemüt: bei ihr beginnt und endet die Liebe nicht
im Kopf.
»Gib ihm ein Buch, Caterina«, befiehlt Vittoria tonlos.
»Welches, Signora?« Mit dieser Frage will Caterina mich vermutlich daran erinnern, daß sie lesen kann.
»Welches du willst.«
Das ist wenig freundlich dem Fürsten gegenüber, und Caterina bekommt keine Gelegenheit, ihre Talente als Leserin vorzuführen.
Sie greift wahllos nach einem der beiden Bücher und streckt es mir hin: »Der rasende Roland« von Ariost.
Ich weiß nicht, was Orsini von dieser Wahl, die keine ist, denken wird; ich finde sie jedenfalls recht unglücklich. Früher,
als Vittoria sich noch um meine Erziehung kümmerte, hat sie mich dieses Epos lesen lassen. Darin wird geschildert, wie sich
Roland, der stolze Paladin von Karl dem Großen, unerhörten Gefahren aussetzt, um die Liebe der schönen Angelika zu erringen.
Sie erteilt ihm eine Abfuhr, und er verfällt dem Wahnsinn. Keine sehr tröstliche Lektüre in unserer momentanen Lage! Aber
Orsini ist gebildet und in den Künsten bewandert. Wenn ihm die Geschichte nicht zusagt, so mag er vielleicht den Stil.
Die Stunden wollen nicht vergehen. Die Zeit kriecht. Der Fürst liest, ohne aufzublicken. Vittoria, auf der anderen Seite des
Vorhangs, liest ebenfalls. Welch groteske Situation! Würde Peretti zu dieser Stunde in unser Häuschen eindringen, er könnte
sich an unserer unschuldigen Beschäftigung nur erbauen.
Ich stoße einen Seufzer der Erleichterung aus, als Caterina bei Anbruch der Dunkelheit soviel Kerzen wie möglich in die Fenster
stellt und anzündet. Eine Stunde später biete ich dem |193| Fürsten an, in die Bucht hinabzusteigen, um die Ankunft des Bootes abzuwarten und ihm dann Bescheid zu geben. Er stimmt zu.
Ich verabschiede mich von Vittoria, die meinen Gruß kühl entgegennimmt. Vielleicht ist sie mir wegen des Ringes böse. Womit
sie nicht einmal unrecht hätte. Doch auch wenn ich meine Befugnisse überschritten habe, ihre Wünsche habe ich jedenfalls richtig
interpretiert. Die vergangene Nacht hat es bewiesen.
Kaum bin ich draußen, öffnet sich hinter mir die Tür, und Caterina kommt mit einem Schnupftuch angerannt, das ich vergessen
habe. Ich hege den Verdacht, daß sie es mir gestohlen hat, um mich unter diesem Vorwand allein zu sehen. Sie wirft sich in
meine Arme, umschlingt mich und sucht meinen Mund. Sie fände es vermutlich hinreißend, wenn ich sie an Ort und Stelle umlegte.
Sie weiß immer ganz genau, was sie will, und so wie sie gebaut ist, kann sie es sich auch mühelos verschaffen. Ich winde mich
aus den Fangarmen dieses kleinen Kraken, aber ohne grob zu werden. Zu meinem Erstaunen bin ich gerührt.
Es wird von Minute zu Minute dunkler. Ich gelange unbehindert zu dem kleinen Strand und stelle mich vor die Grotte, die uns
Unterschlupf gewährt hat. Die See – so wechselhaft wie die menschliche Seele – umspült an diesem zur Neige gehenden Abend
kaum meine Füße. Und mit welcher Ausdauer und Wildheit hat sie uns gestern bekämpft!
Man kann fast nichts mehr sehen. Ich spitze die Ohren und vernehme ein regelmäßiges Plätschern: die Ruderschläge des von der
Galeere entsandten Bootes. Es ist dem Riff entgangen, an dem unser Boot zerschellt ist, weil wir in der heftigen Brandung
der vergangenen Nacht manövrierunfähig waren.
Die Dämmerung ist so weit fortgeschritten, daß das Boot neben mir landet, bevor ich überhaupt seine Umrisse habe erkennen
können. Ein Schatten springt ins Wasser – vermutlich um zu verhindern, daß das Boot über den Sand schrapt. Ich trete näher,
woraufhin sich der Schatten sofort zurückzieht.
»Ich bin’s: Marcello.«
»Ah, Ihr, Signore«, sagt der Schatten.
Ich erkenne ihn an der Stimme.
»Geronimo?«
»Ja, Signore.«
|194| Erst als unsere Gesichter sich beinahe berühren, erkenne ich seine Züge. Man sieht ihm die Angst an, in diese Gegend vordringen
zu müssen.
»Ich hole den Fürsten.«
» Per l’amor di Dio
, beeilt Euch, Signore!«
»Keine Gefahr!«
Ich taste mich die Stufen empor. Das geschieht nun erst zum zweiten Mal, und doch habe ich den seltsamen Eindruck, auf ewig
zu dieser Kletterei verdammt zu sein,
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