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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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zurückgelehnt,
     die langen Beine von sich gestreckt, und starrt in die Flammen.
    Auch ich sehe ins Feuer, und wenn ich es jetzt fertigbrächte, die Flammen zu bewundern, würde ich sie sehr schön finden. Es
     ist eine Bruyèrewurzel, die da sanft vor sich hin brennt – ohne die hochzüngelnden Flammen oder die gelbe Glut, die andere
     Hölzer zu entwickeln pflegen. Die Bruyerewurzel ist rund und fest wie ein Totenschädel, und an ihrer glühenden Außenlinie
     tanzen und züngeln gezackte kleine Irrlichter von bläulicher, beinahe durchsichtiger Farbe, nicht höher als zwei Zoll. Oh,
     nein, das ist nicht die große Leidenschaft, die hell auflodert und knistert. Das ist eher das kleine Feuer, an dem man sterben
     könnte. Doch für uns, wie wir da sitzen und ins Feuer blicken, weil wir nichts anderes zum Ansehen haben, ist keine Rede vom
     Sterben. Wir sind nur allzu lebendig und fühlen uns dadurch – wenn ich dem verschlossenen Gesichtsausdruck des Fürsten glauben
     darf – einigermaßen gedemütigt.
    Eine Stunde später wird an die Tür geklopft. Orsini rührt sich nicht von der Stelle und ich mich auch nicht. Falls Peretti
     sich anders besonnen hat und diese Geschichte durch einen Degenstoß sofort ein ruhmloses Ende finden soll – in Gottes Namen!
     wenn es doch so wäre! Ich bin des fiebrigen Geschäfts, das da Leben heißt, müde. Welchen Sinn hat es denn schon?
    Doch es erscheinen nur der Majordomus und ein paar Diener, die eine Erfrischung bringen. Der Majordomus kann uns nicht sehen,
     da uns der Vorhang vor ihm verbirgt. Und offensichtlich ahnt er nichts von unserer Anwesenheit, denn er verweilt sehr lange
     und schwatzt wie eine Elster.
    Nachdem er gegangen ist, bringt uns Caterina unseren Teil. |191| Ich will ihr das Tablett abnehmen, und als sie es mir übergibt, streichelt sie schnell meine Hände. Unseren Teil: hat Caterina
     ihn sich vom Munde abgespart oder ihre Herrin? Oder hat Peretti größere Rationen befohlen? Wie ich sehe, brennt der Fürst
     darauf, diese Gabe zurückzuweisen – denn nach allem, was geschehen ist, sich von Peretti auch noch beköstigen zu lassen, das
     ist zuviel. Aber bei genauerer Überlegung empfindet er diese Ablehnung wohl als unrealistisch und kindisch, denn er beginnt
     wortlos und mit niedergeschlagenen Augen, aber mit Appetit zu essen. Der in Wein getränkte Kuchen, mit dem Vittoria ihn in
     der Nacht gefüttert hat, ist längst vergessen.
    Caterina hat in der Nacht durch den Vorhang gelinst und mir die romantische Mahlzeit geschildert. Vittoria hat tatsächlich
     den Fürsten wie ein Baby mit dem Löffelchen gefüttert! Und jetzt stößt sie ihn von ihrer Brust, als habe er sie gebissen.
     Man stelle sich vor, wie viele Etappen der Unglückliche in wenigen Stunden durchlaufen hat. Erst ein Verwundeter, der liebevoll
     verbunden wird; dann ein Säugling; dann der sehnsüchtig erwartete Geliebte; und heute morgen nun der verstoßene Geliebte.
     Welch eine Komödie der menschlichen Gefühle! Jede Liebe beginnt und endet in unseren Köpfen. Und die sind genauso unberechenbar
     und hohl wie die Glöckchen, die am Hals der Ziegen bimmeln.
    Dieser Tag will nicht enden, so scheint mir, und der Fürst in seinem Sessel empfindet das offensichtlich auch. Doch wo sollen
     wir hingehen? Vor dem Haus: das Meer; hinter dem Haus: ein Park, der von Soldaten wimmelt. Und warum sollte Orsini hinausgehen
     und jetzt, da Vittoria ihn verstoßen hat, noch sein Leben in die Schanze schlagen? Mir würde es, wenn ich die Liebe meiner
     Zwillingsschwester verlöre, überhaupt nichts ausmachen, auch das Leben zu verlieren. Doch der Fürst liebt Vittoria auf andere
     Art als ich. Zum Beweis: er hat sie vorhin, als sie ihn so grausam behandelt hat, gehaßt. Und nun sitzt er einsam am Feuer
     und kämpft mit widerstreitenden Gefühlen. Für einen Tag ist er nun im grausamsten aller denkbaren Kerker eingesperrt: er muß
     mit einer Frau zusammen wohnen, die ihn nicht mehr liebt. Zumindest glaubt er, daß sie ihn nicht mehr liebt.
    Am Nachmittag bricht er das Schweigen und wendet sich an mich:
    |192| »Marcello, auf der anderen Seite habe ich Bücher gesehen. Fragt bitte, ob man mir eines ausleiht.«
    Ich lasse dieses »man« in mir nachklingen, erhebe mich vom Bett, schiebe den Vorhang beiseite, gehe »auf die andere Seite«
     und trage leise seine Bitte vor. Warum ich es mit leiser Stimme tue, weiß ich selber nicht zu sagen. Es sind insgesamt nur
     drei Bücher da, eines davon, ihren

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