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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Nacht«, erwidert sie.
    Als ich gerade aufstehen will, ergreift sie mich am Arm, zieht mich an sich und gibt mir einen Kuß auf die Wange.
    Und ich schmelze förmlich dahin! So bin ich nun einmal: ein Küßchen auf die Backe, und ich schmelze dahin.
    Am nächsten Morgen schickt mich die Signora, nachdem sie mit größter Sorgfalt Toilette gemacht hat, zu Signor Peretti, ihm
     ein Billett zu überbringen, das ich unterwegs leider nicht lesen kann, da sie es gesiegelt hat. Doch ich brauche nicht lange
     auf seine Wirkung zu warten: gegen zehn Uhr tritt Signor Peretti bei uns ein, allein und unbewaffnet.
    »Caterina«, sagt die Signora, »geh ein bißchen im Park spazieren. Ich möchte allein sein.«
    »Im Park! Zwischen all den Soldaten!«
    »Du mußt dich ja nicht so sehr weit entfernen. Geh schon, gehorche!«
    »Ja, Signora.«
    Unter dem Vorwand, meine Mantille zu suchen, gehe ich auf die andere Seite vom Vorhang und entriegele geräuschlos das niedrige
     Türchen, das an der Rückseite des Häuschens zum Holzschuppen führt. Danach trete ich zur Vordertür hinaus, schließe sie hinter
     mir, gehe ums Haus herum, betrete den Schuppen und schleiche auf leisen Sohlen zu dem Türchen, das ich eben aufgeriegelt habe,
     hebe vorsichtig den Schnäpper hoch, öffne den Türflügel etwa um Daumesbreite und drücke mein Ohr an diesen Spalt. Ich habe
     der Signora aufs Wort gehorcht und mich nicht so sehr weit entfernt.
    Ich höre nichts, kein einziges Wort, und stelle mir vor, daß sie sich nun recht verwirrt gegenüberstehen nach den gestrigen
     Ereignissen, deren Zeugin ich gewesen bin. Ich muß noch eine |200| gute Minute warten. Endlich entschließt sich die Signora, das Gespräch zu eröffnen.
    »Signore«, sagt sie, »ich habe Unrecht gegen Euch begangen und möchte Euch dessen Ausmaß und Grenzen erläutern. In Rom erhielt
     ich von einem hohen Herrn, dem ich bei Euerm Onkel Montalto begegnet bin, einen Brief, und diesen Brief habe ich gelesen.
     Natürlich habe ich ihn nicht beantwortet, sondern sofort verbrannt. Dennoch war es nicht recht von mir, ihn überhaupt zu lesen,
     und ich bitte Euch, mir das zu verzeihen.«
    »Schade, daß Ihr mir diesen Fehler nicht gleich am nächsten Tag gestanden habt, Vittoria«, entgegnet Peretti.
    »Ich habe ihn gleich am nächsten Tag meinem Beichtvater gestanden«, sagt Vittoria mit mühsam beherrschtem Zorn, »und es ist
     vor allem schade, Signore, daß Ihr es durch seine Indiskretion erfahren und mir nichts davon gesagt habt.«
    »Ich habe es doch nicht durch Racasi erfahren!« entfährt es Peretti, sehr ungeschickt, wie ich finde.
    »Dann also durch Euern Onkel, das ist dasselbe! Was ich vor Gott gestehe, wird weitergesagt: vom Pfarrer an den Kardinal,
     vom Kardinal an Euch. Es ist abscheulich! Könnt Ihr mir sagen, wer meine strenge Klausur im Palazzo Rusticucci und meine Verbannung
     in diese Einöde verfügt hat, wenn nicht Euer Onkel?«
    »Dieser Onkel ist auch der Eure, Signora«, antwortet Peretti mit schmerzerfüllter Stimme.
    »Nein«, schreit Vittoria, »nein, tausendmal nein. Er ist nicht mehr mein Onkel, seitdem er mich mit Eurer Hilfe so grausam
     tyrannisiert!«
    »Aber das Vorkommnis der letzten Nacht, Signora«, entgegnet Peretti mit etwas mehr Festigkeit, »hat die von uns getroffenen
     Vorsichtsmaßnahmen in gewissem Sinne gerechtfertigt. Alles weist darauf hin, daß der hohe Herr, von dem die Rede ist, einen
     verzweifelten Versuch unternommen hat, Euch hier zu treffen.«
    »Was für einen Versuch?« ruft Vittoria in äußerster Erregung. »Deshalb also wolltet Ihr mit gezogenem Degen und zwei Dutzend
     Sbirren im Gefolge bei mir eindringen? Nehmt bitte zur Kenntnis, daß dieser Versuch, falls es ihn gegeben hat, nie von mir
     angeregt oder gebilligt worden ist; das schwöre ich bei Gott!«
    Ich bin voller Bewunderung für die Signora. Sie vermag zu |201| lügen, obwohl sie die Wahrheit sagt. Wer könnte bei diesen Worten vermuten, daß Orsini je den Fuß über unsere Schwelle gesetzt
     hat?
    »Signora«, sagt Peretti, »ich wiederhole nochmals: in unserer Bucht wurden die Trümmer eines Bootes gefunden, das zu einer
     Galeere Orsinis gehört.«
    »Und was beweist das?« fragt Vittoria heftig. »Nichts! Weder daß der Fürst auf dieser Galeere war, noch daß er in dem Boot
     gesessen hat, geschweige denn daß ihm die Landung geglückt ist. Die Tatsache, daß es zerschellt ist, beweist sogar das Gegenteil.«
    »Immerhin habt Ihr meinen Argwohn geschürt, als

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