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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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behandelt hat. Sein Ton und
     seine Haltung geben zu verstehen, daß er solches nicht länger hinnehmen wird. Er rafft sein Wams und seine Beinkleider von
     den Schemeln, auf denen sie zum Trocknen lagen, und geht hinter den Vorhang auf die andere Seite des Raumes, wo ich geschlafen
     habe.
    Gleich darauf erhebe ich mich, stelle mich hinter Vittoria, lasse mir von Caterina die Bürste geben und übernehme ihr Amt.
     Diese Arbeit erfordert sehr viel Aufmerksamkeit und beide Hände: mit der einen muß man einige der goldenen Strähnen hochnehmen,
     mit der anderen die Bürste so geschickt handhaben, daß nicht durch ihr Gewicht die Last der Haare noch erhöht und der Kopf
     nach hinten gezogen wird. Seit meiner Kindheit bin ich in diesem Dienst bewandert, und ich versehe ihn gern. Es ist der einzige
     körperliche Kontakt, den es zwischen mir und Vittoria je gegeben hat. Von der Berührung dieser Goldfäden muß irgendein Zauber
     ausgehen, scheint es mir doch, als könnte ich mich nun besser im Labyrinth von Vittorias Gedanken zurechtfinden.
    Ich sehe sie im Spiegel. Sie ist bleich, hält die Augen niedergeschlagen, und ihr Gesicht ist völlig ausdruckslos; doch sie
     ringt unentwegt ihre Hände im Schoß.
    Ich sage leise zu ihr:
    »Warst du nicht ein bißchen zu hart?«
    Sie hebt die Lider, läßt sie aber sofort sinken, nachdem sie mir im Spiegel einen kurzen, aber deutlichen Blick zugeworfen
     hat. Nein, sie ist nicht hart; sie übt sich nur darin, es zu sein. Sie hat eine Entscheidung getroffen, unter der sie selbst
     in fast unerträglichem Maße leidet.
    Der Fürst tritt hinter dem Vorhang vor und postiert sich rechts neben Vittoria. Er ist vollständig angezogen, das Wams bis
     zum Hals zugeknöpft; er sieht bleich, aber entschlossen aus.
    |189| »Signora«, sagt er, »die schönsten Geschenke werden wertlos, wenn uns die Geber nicht mehr mögen. Erlaubt mir, Euch den Ring
     zurückzugeben, den Ihr mir geschenkt habt.«
    Dabei legt er den Ring mit dem diamantenen V vor Vittoria hin. Sie hebt die Brauen und wirft mir im Spiegel einen finsteren
     Blick zu.
    »Ich habe Euch nichts geschenkt, Durchlaucht.«
    »Das beliebt Ihr jetzt zu sagen, Signora, und es macht mich unendlich traurig.«
    Er hat mit erstickter Stimme gesprochen, und ich bemerke, wie Vittoria zittert. Doch ich weiß, daß sie Orsini nicht verraten
     wird, wie dieser Ring in seinen Besitz gelangt ist. Sie verhält sich so wie immer: sie deckt mich.
    »Wieso habe ich, seit Ihr hier seid, den Ring nicht an Eurer Hand bemerkt?« fragt sie etwas sanfter.
    »Aus Diskretion trage ich das V nach innen.«
    Dieser Wortwechsel verläuft ganz einträchtig, beinahe freundschaftlich; doch beide wissen, daß es nur eine vorübergehende
     Windstille ist und neue Sturmböen über sie hereinbrechen werden.
    »Durchlaucht«, bringt Vittoria mit Mühe hervor, »die vergangene Nacht wird sich nicht wiederholen. Eure Ehefrau kann ich nicht
     werden, weil ich schon verheiratet bin. Und Eure Metze will ich nicht sein.«
    »Signora«, sagt Orsini unwillig, »ich habe nie in solchen Begriffen an Euch gedacht.«
    »Also dann: Eure Geliebte, wenn Euch dieser Ausdruck besser gefällt.«
    »Und das wollt Ihr nicht mehr sein?«
    »Nein.«
    »Kommt dieser Gesinnungswandel nicht etwas spät?« fragt er mit einem Zornesausbruch, den er sofort bereut, denn er stellt
     sich, zu Boden blickend, mit eingezogenem Kopf an den Kamin und nimmt die Hände auf den Rücken, die er so fest drückt, daß
     die Knöchel weiß werden.
    »Es ist niemals zu spät, sich wieder in die Gewalt zu bekommen«, antwortet Vittoria hoheitsvoll.
    »Das ist eine moralische Haltung, über die wir nicht streiten wollen«, entgegnet Orsini leise mit zornbebender Stimme.
    Und er fährt fort:
    |190| »Als ich gestern von Bord meiner Galeere ging, habe ich meinem Ersten Offizier gesagt, er solle, wenn ich im Morgengrauen
     nicht zurückkäme, dies als ein Zeichen werten, daß mein Boot zerschellt ist. Dann solle er den Anbruch der Nacht abwarten
     und, wenn er wieder Kerzen in Euren Fenstern sähe, ein anderes Boot schicken, uns abzuholen. Bis dahin wollet Ihr mir bitte
     Eure Gastfreundschaft gewähren. Ich werde alles tun, damit meine Anwesenheit Euch nicht behelligt.«
    Sie erwidert nichts. Er verbeugt sich steif und geht in die andere Hälfte des Zimmers. Ich gebe Caterina die Bürste zurück
     und folge ihm; da er sich auf dem einzigen Sessel niedergelassen hat, setze ich mich aufs Bett. Er hat sich

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