Idol
Ihr gestern morgen drohtet, Euch von dem Felsen in die Tiefe zu stürzen, wenn
ich Eure Tür aufbräche.«
»Ha, Signore«, ruft Vittoria hoheitsvoll, »Ihr wagt es, auf diese groteske Situation anzuspielen, durch die ich so grausam
beleidigt wurde? Euer brutales Eindringen, der blankgezogene Degen, mit dem Ihr mich bedrohtet, die Sbirren! … das alles hätte
mich nicht bis zum Wahnsinn reizen sollen? Ich wußte nicht mehr, was ich sagte noch tat. Von all den schweren Kränkungen,
die ich seit einem Monat durch Euer Verschulden erlitten habe, war das die schlimmste. Wie könnt Ihr mir die unsinnigen Worte
vorwerfen, die ich in jenem entsetzlichen Augenblick gesprochen habe! Und das alles wegen eines Briefes, den ich gelesen und
dann sofort verbrannt habe! Gelesen, ohne Böses zu denken, aus Kinderei, aus purer weiblicher Neugier! Denn Ihr glaubt doch
nicht im Ernst, Francesco«, fährt sie mit sanfterer Stimme fort und nennt ihn zum ersten Mal beim Vornamen, »daß ich mich
auch nur im mindesten für diesen Hinkefuß interessiere. Ein Mann, den ich nur flüchtig bei Euerm Onkel Montalto gesehen habe!«
Erneutes Schweigen. Ich bewundere die Signora, doch ich beneide sie nicht. Den »Hinkefuß« hat sie wohl nur mit Mühe über die
Lippen gebracht.
Und Peretti, kann er sie ohne einen Beweis der Lüge bezichtigen? Der Beweis, den er heute gern hätte, war gestern hinter der
Tür des Häuschens versteckt. Jetzt ist es zu spät, er wird ihn nie mehr bekommen. Ihm bleibt nur der Zweifel.
Was hätte ich darum gegeben, unsichtbar in einer Ecke des Zimmers zu sein und zu sehen, wie sie sich ohne ein Wort |202| feindselig anstarren. Die Miene, die die Signora in diesem Moment macht, kenne ich genau: würde- und hoheitsvoll; doch den
armen Signor Peretti kann ich mir nicht vorstellen.
»Signora«, sagt er schließlich mit tonloser Stimme, »Ihr habt mich dringend sehen wollen. Nur wegen dieser Erklärung, oder
habt Ihr mir noch etwas zu sagen?«
»Ja, Francesco«, antwortet sie ruhig und sanft. »Ich möchte Euch um etwas bitten. Wie ich Euch eben bekannte, habe ich einen
Fehler begangen, der üblen Verdacht in Euch aufkommen ließ. Wenn wir nach Rom zurückkehren, Francesco, und ich dort meine
Freiheit wiedererlange, schwöre ich Euch bei meinem Seelenheil, daß Ihr niemals mehr Anlaß haben werdet, an meiner Aufrichtigkeit
zu zweifeln.«
Wieder Schweigen. Mir tut der Hals weh, so sehr muß ich ihn recken, um das Folgende zu hören.
»Ich werde in Ruhe darüber nachdenken, Vittoria«, antwortet er mit unsicherer Stimme.
Mehr sagt er nicht und geht: ich höre die Vordertür zuklappen. Auf schnellstem Wege verlasse ich den Holzschuppen und gehe
um das Häuschen herum, diesmal auf der Seite der Felsentreppe, denn ich will Signor Peretti nicht begegnen. Ich setze mich
auf die oberste der Stufen, die zur Bucht hinabführen, und warte noch zwei, drei Minuten, bevor ich zu der Signora zurückkehre.
Sie sitzt im Lehnstuhl, die Hände im Schoß, die Augen starr auf den Kamin gerichtet, obwohl gar kein Feuer brennt, denn es
ist an diesem Morgen merklich wärmer als an den anderen Tagen.
Ich weiß nicht, was ich tun soll, und beginne, den Putzkram auf dem Frisiertisch aufzuräumen, und »drehe und wende« mich,
wie die Signora immer so schön sagt. Schließlich befürchte ich, sie nervös zu machen, und setze mich auf das niedrige Stühlchen.
Nach einer Weile sieht sie mich an und sagt:
»Wir kehren nach Rom zurück, Caterina.«
»Hat das Signor Peretti beschlossen?«
»Nein, noch nicht. Doch er wird es tun.«
»Dann seid Ihr also zufrieden, Signora?« frage ich.
»Ja«, entgegnet sie, »das bin ich.«
Sie erhebt sich brüsk, dreht mir den Rücken zu und stützt |203| sich, das Gesicht dem Meer zugewandt, mit den Ellenbogen auf das Fensterbrett.
»Geh jetzt, Caterina«, sagt sie.
Ich schleiche auf die andere Seite des Vorhangs und verriegele dabei gleich die niedrige Tür zum Holzschuppen. Dann lege ich
mich auf mein Bett. Es wird sicher ein Weilchen dauern, bis sie mich ruft. Ich weiß, was sie macht, die Ellenbogen auf dem
Fensterbrett, den Kopf in beide Hände vergraben: sie weint.
Marcello Accoramboni:
In dem Boot, das uns zur Galeere zurückbrachte, bat ich den Fürsten um ein Gespräch unter vier Augen, bevor er irgend etwas
zu Lodovico sagen würde. Er willigte ein, und wieder an Bord der Galeere, rief er seinem Cousin zu, er müsse die Kleider
Weitere Kostenlose Bücher