Idol
Sinnlosigkeit einer Entführung überzeugen konnte. Danach
habe ich mein Amt als Sekretär niedergelegt.«
»Das ist mir bekannt.«
»Und deshalb wollt Ihr mich provozieren?«
»Das ist
ein
Grund, aber weder der einzige noch der wichtigste.«
»Und den wichtigsten habt Ihr mir noch gar nicht genannt.«
»Nein.«
»Ihr macht mich neugierig.«
»Hier ist er: ich ertrage nicht die unglaubliche Arroganz eines Mannes, der wie Ihr im Morast der Rotüre geboren wurde.«
»Was gedenkt Ihr zu tun?«
»Ich werde Euch züchtigen.«
»Wie das, wenn Ihr meine Herausforderung nicht annehmt?«
»Die Straßen Roms sind nicht sicher, und ein Unfall ist schnell geschehen.«
|206| »Ein Unfall, Herr Graf?«
»Was weiß ich: ein Ziegel, der sich von einem Dach löst, ein Dolchstoß von einem verrückten Passanten. Kurz und gut, Accoramboni,
Ihr könntet ganz plötzlich und unerwartet sterben.«
Ich richte den Lauf der Pistole auf seinen Bauch und sage mit meinem liebenswürdigsten Lächeln:
»Ihr auch.«
Lodovico wird aschfahl, tritt einen Schritt zurück und hält sich beide Hände wie zum Schutz vor den Bauch. Da ruft eine Stimme:
»Marcello!«
Ich drehe mich in die Richtung, aus der sie kommt, und erblicke den Fürsten. Sein Kopf taucht gerade aus dem Boden der Poop
auf.
»Senkt Eure Waffe, Marcello!«
»Gern, Durchlaucht. Graf Oppedo ist allerdings grundlos erschrocken: der Hahn war nicht gespannt.«
Der Fürst steigt langsam die Treppe hinauf, bis er auf unserer Höhe ist, sieht Lodovico kalt an und sagt:
»Euer Benehmen, Cousin, ist unüberlegt: Ihr lehnt es ab, Euch mit Marcello zu schlagen, und gleich darauf beleidigt Ihr ihn
und droht ihm einen Unfall an. Wollt Ihr, daß Euch das gleiche Schicksal widerfährt wie Recanati?«
»Durchlaucht«, sage ich mit einer kleinen Verbeugung, »ich habe nicht die Absicht, den Grafen Oppedo zu töten. Durch meine
Geburt im Morast der Rotüre, wie er es nennt, stehe ich viel zu tief unter ihm, als daß seine Schmähungen mich erreichen könnten.«
»Seht Ihr, Paolo«, ruft Lodovico, »der Kerl wagt es schon wieder, mir die Stirn zu bieten! Sogar in Eurem Beisein!«
»Er bietet Euch nicht die Stirn. Er antwortet geistreich auf Eure dummen Angriffe. Bedankt Euch bei ihm und bei mir. Wäret
Ihr nicht mein Cousin, hätte er Euch schon eine Kugel in den Bauch gejagt. Marcello, kommt bitte in mein Zimmer herunter.
Ich möchte mit Euch reden.«
»Mit Eurer Erlaubnis, Durchlaucht, möchte ich erst meinen Schuß abfeuern. Ein Unfall ist schnell geschehen, eh man sich’s
versieht …«
»Tut das.«
Ich spanne den Hahn; aus dem Augenwinkel bemerke ich, |207| daß sich Lodovico etwas hinter den Fürsten zurückzieht. Meine Zielscheibe ist eine Spielkarte, ein Pik-Bube, auf einem gespaltenen
Stab befestigt, dessen unteres Ende ich in die Ritze einer Truhe gezwängt habe.
Ich ziele sorgfältig und schieße. Meine Kugel trifft den Pik-Buben in der Mitte.
»Ihr schießt bemerkenswert gut, Marcello«, sagt der Fürst. »Und das, obwohl Eure Hand zittert.«
»Das stimmt, aber mein Blick ist scharf. Er korrigiert gewissermaßen das Zittern meiner Hand.«
Ich verneige mich vor ihm, mache eine knappe Verbeugung zu Lodovico hin, der sie nicht erwidert, und steige die Treppe hinab,
über die der Fürst zu uns gelangt ist. Am Fuß der Treppe gehe ich noch nicht zum Zimmer des Fürsten, sondern verharre unbeweglich
und spitze die Ohren.
»Ich verstehe Euch nicht, Lodovico«, sagt der Fürst. »Das Ganze ist absurd. Was wollt Ihr? Ihr hegt gegen Marcello einen unsinnigen
Haß. Vom ersten Augenblick an habt Ihr ihn beleidigt. Was erwartet Ihr eigentlich? Daß er Euch unterwürfig zu Füßen fällt,
sie Euch vielleicht noch küßt? Ihr seid ein großer Dummkopf, lieber Cousin. Ihr wißt doch, mit wem Ihr es zu tun habt: Marcello
ist ein Desperado. Er achtet sein Leben gering. Er ist tollkühn und schreckt vor nichts zurück. Ich sage es noch einmal: wäret
Ihr nicht mein Cousin, hätte er Euch schon durchlöchert wie diese Spielkarte hier. Nehmt sie, mag sie Euch als Gedächtnisstütze
dienen! Und falls Ihr von einem Unfall träumt, könnt Ihr diesen Wunschtraum aufgeben. Ich würde ihn Euch niemals verzeihen.«
Lodovicos Entgegnung auf diese Schelte kann ich nicht abwarten, denn ich höre über mir Schritte und eile zum Zimmer des Fürsten.
Bevor ich eintrete, klopfe ich an, weil ich die kleine maurische Sklavin nicht überraschen will. Ich habe gut
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