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Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Titel: Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Sperrholz zahlloser winziger Behausungen. Der Anblick erinnert ihn an die Favelas von Rio, obwohl die einzelnen Elemente irgendwie eine andere Größe haben. Die Sekundärkonstruktion hat etwas Märchenhaftes, steht im Gegensatz zu den steilen Kurven und senkrechten Linien der Kernstruktur mit ihrer schwebenden Poesie. Die einzelnen Unterkünfte – falls es sich wirklich um Unterkünfte handelt — sind sehr klein, weil Platz das Kostbarste überhaupt ist. Er erinnert sich an den Anblick der flackernden Fackeln, die den Eingang zur unteren Fahrbahn flankierten; heutzutage tragen die Bewohner die städtischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung jedoch im Großen und Ganzen mit, wie er weiß.
    »Dancer?«

    Im Betonschatten birgt sie das kleine Fläschchen in der Hand. Eine wilde Grimasse, die das Geschäft erleichtern soll. Diese Droge bewirkt, dass sich das Zahnfleisch immer weiter zurückzieht, und verleiht den wenigen, die ihre anderen schlimmen Folgewirkungen überleben, ein charakteristisches, schreckliches Lächeln.
    Er antwortet mit den Augen; die Kraft seines Blicks durchstößt ihre Absicht wie Papier. Ein kurzes Aufflackern von Panik in ihrem Blick, dann ist sie fort.
    Toffeebraunes Haar wirbelt in den Tiefen.
    Er schaut auf die Spitzen seiner Schuhe hinab. Sie sind schwarz und heben sich sehr deutlich von dem Zufallsmosaik verdichteter Abfälle ab.
    Er steigt über eine leere Dose King Cobra und geht zwischen den nächsten Rhomboiden hindurch zur Brücke.
    Es sind keine freundlichen Schatten, durch die er sich hier bewegt; die Beine seiner engen Hose sind wie die Messer einer tieferen Dunkelheit. Es ist ein Ort für Hinterhalte, hierher kommen Wölfe, um den schwächeren Schafen aufzulauern. Er hat keine Angst vor Wölfen, auch nicht vor anderen Raubtieren, die die Stadt schicken könnte, weder heute noch in einer anderen Nacht. Er beobachtet diese Dinge einfach im Hier und Jetzt.
    Doch nun erlaubt er sich, den Anblick vorwegzunehmen, der ihn hinter dem letzten Rhomboid erwartet: der irrwitzige Schlund der Brücke, das Tor zu Traum und Erinnerung, wo Fischhändler ihre Ware auf schmutzigen Eisbetten auslegen. Ein ewiges geschäftiges Treiben, ein Kommen und Gehen, für ihn der eigentliche Pulsschlag der Stadt.
    Und tritt hinaus in unerwartete Helligkeit, in den grellen Schein roter Pseudo-Neonschlangen über sanft geschwungenem Singapur-Kunststoff.
    Die Erinnerung ist entweiht.
    Jemand drängt sich an ihm vorbei, zu nah, ohne ihn zu sehen, und stirbt beinahe – die Magneten lösen sich mit
jenem leisen Klicken, das er eher fühlt als hört. Aber er zieht das Messer nicht ganz, und der Betrunkene taumelt achtlos weiter.
    Er fixiert das Heft wieder und starrt diese neueste Zumutung düster an: LUCKY DRAGON Schlängelt sich in nichtssagender Schrift an einer Art Finne oder Mast mit einem Sockel aus Dutzenden flimmernder Fernsehschirme empor.

5 MARIACHI-RAUSCHEN
    »Sie hat dich also wegen ’nem Fernsehproduzenten sitzenlassen«, sagte der Country-Sänger und schob den Rest der dreizehn Unzen Wodka wieder in den Bund seiner indigoblauen Jeans, die so neu war und so stramm saß, dass sie beim Gehen knarzte. Der konkav gewölbte Flachmann steckte hinter einer antiken Schnalle, die einer gravierten Erinnerungsplakette ähnelte, einem Ding, das irgendwer mal fürs Einfangen von Kälbern mit dem Lasso oder eine ähnliche Wettkampfart gewonnen hatte, wie Rydell vermutete. Er fuhr das Seitenfenster einen Spaltbreit herunter, um die Dünste hinauszulassen.
    »Produktionskoordinator«, sagte Rydell. Er wünschte, der Wodka würde seinen Beifahrer, dessen Name Buell Creedmore lautete, wieder wegdämmern lassen. Der Mann hatte fast die ganze Fahrt die Küste entlang geschlafen und dabei leise vor sich hingeschnarcht, was Rydell durchaus recht gewesen war. Creedmore war ein Freund oder vielleicht eher Bekannter von Durius Walker. Durius war früher mal Drogenhändler in South Central gewesen und selber süchtig geworden. Seit seinem Entzug verbrachte er viel Zeit mit anderen, die ebenfalls Drogenprobleme hatten, und versuchte, ihnen zu helfen. Rydell nahm an, dass Buell Creedmore auch zu ihnen gehörte, obwohl der Mann, soweit er sehen konnte, im Grunde bloß ein Säufer war.
    »Da ist dir doch garantiert der Kaffee hochgekommen«, sagte Creedmore, die Augen vom Suff geschlitzt. Er war ein kleiner, leicht gebauter Mann, besaß aber jene sehnigen
Muskeln, die nie ein Fitness-Center von innen gesehen hatten.

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