Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
dieser drei Wochen alte ’lektro muss da rauf geschafft werden, und er sagt, er fährt sich gut. Du warst doch mal Fahrer, oder?«
»Ja.«
»Tja, das kostet dich nichts. Dieser Creedmore zahlt die Gebühr.«
Darum fand sich Rydell nun hinter dem Lenkrad eines Hawker-Aichi-Zweisitzers wieder, eines dieser flachen, langen Keile aus Hochleistungsmaterialien, die abzüglich ihrer menschlichen Fracht wahrscheinlich so viel wogen wie zwei kleine Motorräder. Das Ding schien kein Gramm Metall dranzuhaben, sondern nur aus stromlinienförmigen, mit Kohlefaser verstärkten Schaumstoffkernsandwiches zu bestehen. Der Motor saß hinten, und die Treibstoffzellen waren in den Schaumstoffsandwiches verteilt, die gleichzeitig als Chassis und Karosserie dienten. Rydell wollte lieber nicht wissen, was passieren würde, wenn man mit so einem Gerät irgendwo gegenfuhr.
Es war jedoch praktisch lautlos, fuhr sich prima und schoss mit einem Höllentempo dahin, wenn es erst mal auf Touren gekommen war. Etwas daran erinnerte Rydell an ein Liegefahrrad, das er einmal gefahren hatte, nur dass man nicht treten musste.
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, wem der Wagen gehört«, rief er Creedmore in Erinnerung, der gerade die letzten zwei Fingerbreit Wodka gekippt hatte.
»Freund von mir«, antwortete Creedmore, fuhr das Fenster auf seiner Seite runter und warf die leere Flasche raus.
»He«, sagte Rydell, »das kostet zehntausend Dollar, wenn du erwischt wirst.«
»Die können uns mal an die Füße fassen, das können sie«, sagte Creedmore. »Arschgeigen«, fügte er hinzu, schloss dann die Augen und schlief ein.
Rydell ertappte sich dabei, dass er wieder an Chevette dachte. Er bereute, dass er sich von dem Sänger hatte verleiten lassen, über dieses Thema zu reden. Er wusste, er wollte nicht daran denken.
Einfach bloß fahren, sagte er sich.
An einem braunen Hang rechts von ihm die weißen Masten eines Windparks. Spätnachmittägliche Sonne.
Einfach bloß fahren.
6 SILENCIO
Silencio hat den Stoff bei sich. Er ist der Kleinste, sieht fast wie ein Kind aus. Er nimmt keine Drogen, und wenn die Cops ihn erwischen, kann er nicht reden. Jedenfalls nicht über den Stoff.
Silencio zieht jetzt schon eine ganze Weile mit Raton und Playboy herum, sieht zu, wie sie sich das Zeug reinziehen, sieht zu, wie sie sich die Kohle besorgen, die sie brauchen, um es sich weiter reinziehen zu können. Raton wird fies, wenn er dringend was braucht, und Silencio hat gelernt, sich dann von ihm fernzuhalten, außer Reichweite seiner Füße und Fäuste.
Raton hat einen langen, schmalen Schädel und trägt Linsen mit senkrechter Iris, wie eine Schlange. Silencio fragt sich, ob Raton wie eine Ratte aussehen soll, die eine Schlange gefressen hat und durch deren Augen die Schlange jetzt vielleicht hinausblickt. Playboy sagt, Raton ist ein pinche Chupacabra aus Watsonville, und die sehen alle so aus.
Playboy ist der größte von ihnen, sein massiger Leib ist in einen langen, konventionellen Mantel gehüllt; darunter trägt er Jeans und alte Arbeitsstiefel. Obendrüber Pancho-Villa-Schnurrbart, gelbe Fliegerbrille, schwarzen Filzhut. Er ist netter zu Silencio, spendiert ihm Burritos von den Ständen, Wasser, Dosenlimo, einmal sogar ein großes, tolles Getränk aus Früchten.
Silencio fragt sich, ob Playboy vielleicht sein Vater ist. Er weiß nicht, wer sein Vater sein könnte. Seine Mutter daheim in los projectos ist verrückt. Eigentlich glaubt er nicht, dass Playboy sein Vater ist, weil er noch weiß, wie er Playboy
auf dem Markt in der Bryant Street kennengelernt hat, und das war bloß Zufall, aber manchmal, wenn Playboy ihm was zu essen kauft, kommt er trotzdem ins Grübeln.
Silencio hockt hinter dem leeren Stand, wo es nach Äpfeln duftet, und sieht zu, wie Raton und Playboy sich ihren Stoff reinziehen. Raton hat eine kleine Taschenlampe im Mund, damit er sehen kann, was er tut. Heute Abend ist es das Schwarze, und Raton schneidet das Plastikröhrchen mit dem Spezialmesser durch, dessen Griff länger ist als die kurze, gebogene Klinge. Die drei sitzen auf Plastikkisten.
Raton und Playboy nehmen das Schwarze zwei-, vielleicht dreimal pro Tag und Nacht. Dreimal das Schwarze, dann müssen sie auch das Weiße nehmen. Das Weiße ist teurer, aber wenn sie zu viel Schwarzes nehmen, fangen sie an, schnell zu reden, und sehen vielleicht Leute, die gar nicht da sind. »Gespräch mit Jesus«, nennt Playboy das, und das Weiße nennt er »Spaziergang mit dem
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