Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
nackten Silencio, der Schwarze mit dem langen Gesicht und der fette Weiße mit dem roten Bart, in einen Raum mit feuchten Holzwänden. Lassen ihn allein. Heißer Regen fällt aus Löchern in den schwarzen Plastikrohren über ihm. Wird stärker, sticht.
Sie haben ihm Kleider und Schuhe abgenommen und in einen Plastikbeutel gesteckt, und jetzt kommt der Fette zurück und gibt ihm Seife. Seife kennt er. Er erinnert sich an den warmen Regen, der aus einem Rohr in los projectos gefallen ist, aber der hier ist besser, und er ist allein in dem hohen, holzverkleideten Raum.
Silencio, satt und zufrieden, seift sich mehrmals ein, weil sie es so wollen. Reibt sich die Seife ins Haar.
Er schließt die Augen, weil die Seife brennt, und sieht die unter grünlichem, willkürlich abgewetztem Glas aufgereihten Uhren, wie Fische aus einer wärmeren Jahreszeit, hartgefroren im Eis eines Sees. Helle Glanzlichter auf Stahl und Gold.
Ein unbekanntes, unverstandenes System hat von ihm Besitz ergriffen: die vielfältige Realität dieser machtvollen Objekte, ihre unendliche Vielgestaltigkeit, ihre individuellen Spezifizierungen. Unerschöpfliche Vielfalt, die aus der Ausdruckskraft von Zifferblatt, Zeigern, Ziffern und Stundenzeichen entsteht … Der warme Regen gefällt ihm, aber er muss unbedingt wieder zurück, muss mehr sehen, muss die Worte hören.
Er ist mit den Worten und ihrer Bedeutung identisch geworden.
Breguet-Zeiger. Guillochiertes Zifferblatt. Bombay-Anstöße. Originale Welle. Signatur.
Der Regen wird schwächer, hört auf. Der Fette, der Plastiksandalen trägt, bringt Silencio ein dickes, trockenes Tuch.
Der Fette sieht ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Auf Uhren steht er, sagst du?«, fragt der Fette den Schwarzen. »Ja«, antwortet der Schwarze, »anscheinend.«
Der bärtige Mann legt Silencio das Handtuch um die Schultern. »Weiß er, wie man die Zeit abliest?«
»Keine Ahnung«, sagt der Schwarze.
»Tja«, sagt der Fette und tritt zurück, »was man mit ’nem Handtuch anfängt, weiß er jedenfalls nicht.«
Silencio ist verwirrt. Beschämt senkt er den Blick.
»Lass ihn in Ruhe, Andy«, sagt der Schwarze. »Hol mir die Klamotten, die ich mitgebracht habe.«
Der Name des Schwarzen: Fontaine. Wie ein Wort in der Sprache von los projectos . Irgendwas mit Wasser. Der warme Regen in dem holzverkleideten Raum.
Nun führt ihn Fontaine durch die obere Ebene, wo Leute mit lauten Rufen Obst verkaufen, dorthin, wo ein dünner, dunkelhaariger Mann wartend neben einer Plastikkiste steht. Die Kiste ist umgedreht, der Boden mit Schaumstoff und ausgefranstem silbernem Klebeband gepolstert, der Mann trägt ein gestreiftes Stoffding mit Taschen an der Vorderseite, und in den Taschen sind Scheren und Sachen wie das Ding, mit dem Raton sich andauernd durch die Haare gefahren ist, nachdem er das Schwarze perfekt mit dem Weißen ausbalanciert hatte.
Silencio trägt die Kleider, die Fontaine ihm gegeben hat: Sie sind groß und weit, und es sind nicht seine eigenen, aber sie riechen gut. Fontaine hat ihm Schuhe aus weißem Stoff gegeben. Zu weiß. Sie tun seinen Augen weh.
Silencios Haare sind von der Seife und dem warmen Regen auch ganz komisch geworden, und jetzt befiehlt ihm
Fontaine, sich auf die Kiste zu setzen, dieser Mann wird ihm die Haare schneiden.
Silencio nimmt zitternd Platz, während der dünne Dunkelhaarige ihm mit einem der Ratondinger aus seinen Taschen durch die Haare fährt und kleine Laute hinter den Zähnen macht.
Silencio sieht Fontaine an.
»Keine Angst«, sagt Fontaine, wickelt ein kleines, spitzes Holzstäbchen aus und steckt es sich in den Mundwinkel, »du wirst gar nichts merken.«
Silencio fragt sich, ob das Stäbchen so was wie das Schwarze oder das Weiße ist, aber Fontaine bleibt, wie er ist. Er steht da, das Stäbchen im Mund, und sieht zu, wie der dünne Dunkelhaarige mit der Schere an Silencios Haaren herumschnippelt. Silencio beobachtet Fontaine, lauscht dem Geräusch der Schere und der neuen Sprache in seinem Kopf.
Zodiac Sea Wolf. Gehäuse sehr sauber. Schraubkrone. Originale Lünette.
»Zodiac Sea Wolf«, sagt Silencio.
»Mann«, sagt der dünne Dunkelhaarige, »du bist ja ’n ganz Schlauer.«
18 SELWYN TONG
Rydell hatte eine Theorie über virtuelle Immobilien. Je kleiner und billiger der Grund und Boden eines Unternehmens im physischen Raum war, desto größer und klotziger die Website. Dieser Theorie zufolge war die Operationsbasis von Selwyn F. X. Tong, Notar in
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