Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
ihr, ohne sich so ganz über ihre Gefühle im Klaren zu sein.
Sie aßen bei einem Mexikaner namens Dirty Is God zu Mittag.
Chevette konnte sich nicht an ihn erinnern, aber die Läden auf der Brücke wechselten oft den Namen. Sie wechselten auch Größe und Gestalt. Dann entstanden absonderliche Mischformen – ein Frisör und eine Austernbar beschlossen, zu einem größeren Laden zu fusionieren, wo man sich die Haare schneiden lassen und Austern kaufen konnte. Manchmal klappte es: Einer der ältesten Läden auf der San-Francisco-Seite war ein altmodisches manuelles Tätowierstudio, in dem es auch Frühstück gab. Man konnte dort über einem Teller mit Eiern und Schinken hocken und zusehen, wie jemand mit einer Art handgeführtem Flash malträtiert wurde.
Im Dirty Is God gab es jedoch nur mexikanisches Essen und japanische Musik, eine ziemlich schlichte Kombination. Tessa bekam die huevos rancheros , Chevette ein chicken quesadilla . Sie tranken beide ein Corona, und Tessa parkte den Kameraträger ganz oben unter der zeltartigen Kunststoffdecke. Anscheinend bemerkte ihn da niemand, und Tessa konnte beim Essen filmen.
Tessa aß reichlich. Sie behauptete, das liege an ihrem Stoffwechsel: Sie sei einer jener Menschen, die nie zulegten, ganz gleich, wie viel sie aßen, aber sie müsse etwas zu sich nehmen, um immer fit zu bleiben. Tessa hatte ihre Eier weggeputzt, bevor Chevette auch nur die Hälfte ihres Hähnchengerichts intus hatte. Sie leerte ihre Glasflasche Corona und fummelte dann mit dem Limonenschnitz herum; sie presste ihn aus und drückte ihn in den Hals.
»Carson«, sagte Tessa. »Machst du dir Sorgen wegen dem?«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist halt ’n gewalttätiger Ehemaliger. Das war doch sein Wagen in Malibu, oder?«
»Glaub schon«, sagte Chevette.
»Du glaubst? Bist du nicht sicher?«
»Hör mal«, sagte Chevette, »es war früh am Morgen. Die ganze Sache war ziemlich merkwürdig. Es war nicht meine Idee, hierherzufahren, weißt du? Es war deine Idee. Du willst deinen Film machen.«
Die Limone plumpste in die leere Corona-Flasche, und Tessa sah sie an, als hätte sie gerade eine geheime Wette verloren. »Weißt du, was ich an dir mag? Also, unter anderem?«
»Was?«, fragte Chevette.
»Du gehörst nicht zur Mittelschicht. Du gehörst einfach nicht dazu. Du ziehst mit diesem Kerl zusammen, er fängt an, dich zu schlagen, und was tust du?«
»Ich zieh aus.«
»Genau. Du ziehst aus. Du rennst nicht zu deinen Anwälten. «
»Ich hab keine Anwälte«, sagte Chevette.
»Ich weiß. Genau das meine ich ja.«
»Ich mag keine Anwälte«, sagte Chevette.
»Eben. Und du hast auch nicht so einen reflexhaften Drang zu prozessieren.«
»Prozessieren?«
»Er hat dich verprügelt. Er hat ’n fünfundsiebzig Quadratmeter großes Loft in allerbester Lage. Er hat ’nen Job. Er verkloppt dich, und du bestellst nicht automatisch ’nen vernichtenden Präzisionsschlag. Du gehörst nicht zur Mittelschicht. «
»Ich will einfach nur nichts mehr mit ihm zu tun haben.«
»Genau das meine ich. Du kommst aus Oregon, stimmt’s?«
»Mehr oder weniger«, sagte Chevette.
»Schon mal dran gedacht, Schauspielerin zu werden?« Tessa drehte die Flasche um. Der zerquetschte Limonenschnitz rutschte in den Hals. Ein paar Tropfen Bier fielen auf das zerkratzte schwarze Plastik der Tischplatte. Tessa steckte den kleinen Finger der rechten Hand hinein und angelte nach dem Limonenschnitz.
»Nein.«
»Die Kamera liebt dich. Du hast ’nen Körper, der die Jungs glatt um den Verstand bringt.«
»Jetzt hör aber auf«, sagte Chevette.
»Was glaubst du, warum sie in Malibu die Partyfotos von dir auf ihre Website gestellt haben?«
»Weil sie hackevoll waren«, sagte Chevette. »Weil sie nichts Besseres zu tun haben. Weil sie Medien studieren.«
Tessa zog den Limonenschnitz – oder das, was davon übrig war – aus der Flasche. »Stimmt alles, aber der Hauptgrund ist, dass du toll aussiehst.«
Hinter Tessa war auf einem der Bildschirme an den recycelten Wänden von Dirty Is God eine sehr schöne Japanerin
erschienen. »Schau dir die an«, sagte Chevette. »Die sieht toll aus.«
Tessa drehte sich um. »Das ist Rei Toei«, sagte sie.
»Die ist schön. Wirklich schön.«
»Chevette«, sagte Tessa, »die ist nicht real. Das ist keine lebendige Frau. Die ist Code. Software.«
»Das gibt’s doch nicht«, sagte Chevette.
»Hast du das nicht gewusst?«
»Aber sie ist nach irgendwem konstruiert, oder? Irgend so
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