Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
Inneres die Beschaffenheit einer alten Fähre hatte – schlichtes,
massives Holz mit einem dunklen, unregelmäßigen Lacküberzug, als ob es jemand im Stück aus einem ausgemusterten Passagierschiff gesägt hätte. Was durchaus möglich war, dachte er, während er an dem langen Tresen Platz nahm; in Richtung Oakland, jenseits der Geisterinsel, beherbergte der flügellose Rumpf einer 747 die Küchen von neun Thai-Restaurants.
Die junge Frau hinter dem Tresen hatte eintätowierte Armbänder in Form von stilisierten indigoblauen Eidechsen. Er bestellte Kaffee, der in dickem, schwerem Porzellan kam. Hier waren keine zwei Tassen gleich. Er holte sein Notebook aus der Tasche, schaltete es ein und gab eine kurze Beschreibung der Tasse ein, schilderte das Muster aus winzigen Rissen in ihrer glasierten Oberfläche, das wie ein weißes Fliesenmosaik en miniature aussah. Während er an seinem Kaffee nippte, scrollte er zu den Notizen vom Vortag zurück. Der Geist dieses Mannes namens Skinner hatte eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Brücke. Dort hatten sich um das Gerüst einer ursprünglichen Zweckbestimmung herum Dinge angesammelt, bis ein kritischer Punkt erreicht und ein neues Programm zum Vorschein gekommen war. Aber was war das für ein Programm?
Er hatte Skinner gebeten, den Modus der Anlagerung zu erklären, die zum gegenwärtigen Zustand der sekundären Struktur geführt hatte. Was waren die Motivationen eines gegebenen Baumeisters, eines individuellen Erbauers? Sein Notebook hatte die weitschweifige, indirekte Antwort des Mannes aufgenommen, transkribiert und übersetzt:
Da war mal so ’n Bursche, der fischte. Kriegte was an die Angel. Zog ein Fahrrad rauf. Völlig von Muscheln überwachsen. Alle lachten. Er nahm das Rad und baute ’nen Laden, wo man was essen konnte. Muschelsuppe, kalte, gekochte Miesmuscheln, mexikanisches Bier. Hängte das Rad über den Tresen. Nur drei Barhocker da drin, und
er hat seinen Kasten rund zweieinhalb Meter weit rausgebaut, hat Superkleber und Schäkel benutzt. Hat die Wände innen mit Postkarten beklebt. Wie mit Schindeln. Nachts hat er sich hinterm Tresen zusammengerollt. Eines Morgens war er einfach weg. War ’n Schäkel durch; ein paar Splitter steckten noch in der Wand eines Friseurladens. Wenn man runterschaute, konnte man das Wasser zwischen den Zehen sehen. Er hatte zu weit rausgebaut, verstehst du.
Yamasaki schaute in den Dampf, der von seinem Kaffee aufstieg, und stellte sich ein muschelbewachsenes Fahrrad vor, selbst ein Thomasson von beträchtlicher Potenz. Der Ausdruck schien Skinner zu interessieren, und das Notebook hatte Yamasakis Versuch aufgezeichnet, zu erklären, woher er stammte und in welchem Sinn er gegenwärtig gebraucht wurde.
Thomasson war ein amerikanischer Baseballspieler, sehr gutaussehend, sehr stark. 1982 ging er für eine große Geldsumme zu den Yomiyuri Giants. Dann stellte sich heraus, dass er den Ball nicht treffen konnte. Der Schriftsteller und Kunsthandwerker Gempei Akasegawa benutzte seinen Namen als Synonym für bestimmte nutzlose und unerklärliche Monumente, zweckfreie, aber sonderbar kunstähnliche Merkmale der Stadtlandschaft. Der Ausdruck hat jedoch in der Folgezeit andere Bedeutungsschattierungen angenommen. Wenn Sie wollen, kann ich auf die heutigen Definitionen in unserem Gendai Yogo Kisochishiki – das heißt, im Grundlagenwissen moderner Begriffe – zugreifen und sie Ihnen übersetzen.
Aber Skinner – grau, unrasiert, das Weiße seiner blauen Augen gelb verfärbt und von geplatzten Adern befleckt – hatte nur die Achseln gezuckt. Drei der Bewohner, die sich
vorher zu einem Interview bereiterklärt hatten, hatten Skinner einen Urbewohner genannt, einen der ersten auf der Brücke. Die Lage seiner Behausung war ebenfalls ein Indiz für einen gewissen Status, obwohl Yamasaki sich fragte, wie viele die Chance ergriffen hätten, oben auf einem der Kabeltürme zu bauen. Bevor der elektrische Lift eingebaut worden war, hätte der Aufstieg jeden abgeschreckt. Heute war der alte Mann mit seiner schlimmen Hüfte im Grunde ein Invalide, der auf seine Nachbarn und das Mädchen angewiesen war. Sie brachten ihm Nahrungsmittel und Wasser und sorgten dafür, dass sein Chemieklo funktionierte. Das Mädchen bekam dafür ein Obdach, nahm Yamasaki an, obwohl ihm die Beziehung irgendwie tiefer und komplexer vorkam.
Aber wenn Skinner wegen seines Alters, seiner Persönlichkeit oder beidem schon schwer zu verstehen war, so war das Mädchen,
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