Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
dachte, dass Freddie ihm das einreden wollte, weil er – Rydell – derjenige war, der dort hinausgehen und dieses Mädchen holen sollte, diese Chevette Washington.
Und jetzt, wo er tatsächlich draußen auf der Brücke war und beobachtete, wie die Leute in aller Eile ihre Sachen vor dem Unwetter in Sicherheit brachten, hatte sie noch weniger Ähnlichkeit mit Freddies Horrorgeschichten. Sie sah aus wie ein Rummelplatz oder so. Oder wie die Mittelstraße eines Jahrmarkts, nur dass sie auf der oberen Ebene von verrückten kleinen Hütten – nichts weiter als Schachteln – und ganzen Hauscaravans überdacht war, die in die Aufhängung hochgezogen und dort mit großen Klebstoffklumpen angepappt waren, wie Heuschrecken in einem Spinnennetz. Zwischen den beiden ursprünglichen Ebenen konnte man durch Löcher auf und ab steigen, die sie in die obere Ebene geschnitten hatten. Darunter waren alle möglichen Arten von Treppen eingebaut, aus Sperrholz und aus geschweißtem Stahl, und unter einem Durchlass sah er sogar eine alte Flugzeug-Gangway, die einfach mit platten Reifen da rumstand.
Auf der unteren Ebene kam man zunächst an einem Haufen Imbisswagen vorbei, dann waren da hauptsächlich
Bars, die kleinsten, die Rydell je gesehen hatte; in manchen gab es nur vier Hocker und nicht mal eine Tür, sondern nur einen großen Rollladen, den man runterziehen und abschließen konnte.
Aber nichts von alledem basierte auf irgendeinem Plan; jedenfalls nicht, soweit er sah. Anders als in einem Einkaufszentrum, wo man ein Geschäft in eine kleine Lücke quetschte und abwartete, ob es ging oder nicht. Dieser Ort hier sah aus, als ob er einfach gewachsen wäre – eins war ans andere geklebt worden, bis der ganze Brückenbogen von dieser formlosen, kunterbunten Masse umhüllt war, und keine zwei Stücke passten zusammen. Wohin man auch schaute, immer sah man andere Materialien, und keines wurde seinem ursprünglichen Verwendungszweck entsprechend benutzt. Er kam an Ständen mit Fassaden aus türkisem Resopal, falschem Mauerwerk und Scherben zerbrochener Kacheln vorbei, die zu Strudeln, Sonneneruptionen und Blumen angeordnet waren. Ein bereits geschlossener Laden war mit grünen und kupferfarbenen Leerplatinen tapeziert.
Er ertappte sich dabei, wie er über all das grinste, auch über die Leute, die ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten, weder kannibalistisch noch sonst. Sie schienen genauso wild zusammengewürfelt zu sein wie ihre Baumaterialien: alle Altersstufen, Rassen und Hautfarben, und alle rannten sie vor dem Unwetter davon, das jetzt ganz eindeutig im Anzug war; der Wind frischte auf, als Rydell sich zwischen Karren und alten Damen hindurchschlängelte, die Strohkoffer schleppten. Ein kleiner Junge, der mit einem großen roten Feuerlöscher in den Armen dahinstolperte, lief ihm gegen die Beine. Rydell hatte noch nie ein Kind mit solchen Tätowierungen gesehen. Der Junge sagte etwas in einer anderen Sprache und war dann verschwunden.
Rydell blieb stehen und holte Warbabys Karte aus seiner Jackentasche. Sie zeigte, wo das Mädchen wohnte und wie
man da raufkam. Ganz oben auf dem Dach von dem verdammten Ding, in einer kleinen Hütte auf der Spitze eines der Türme, von denen die Kabel runtergingen. Warbaby hatte eine schöne Handschrift, richtig anmutig, und er hatte die Karte im Fond des Patriot gezeichnet und für Rydell beschriftet. Die Treppe, dann ging man den Steg entlang und nahm einen Lift oder so was Ähnliches.
Es würde aber ein hartes Stück Arbeit sein, diese erste Treppe zu finden, denn als er sich jetzt umschaute, sah er zahllose schmale, kleine Treppen, die sich zwischen Ständen und verschlossenen Winzig-Bars aufwärts wanden, und zwar ohne jedes System. Er vermutete, dass sie allesamt in das gleiche Rattennest hinaufführten, aber es gab keine Garantie, dass sie alle miteinander verbunden waren.
Dann übermannte ihn die Erschöpfung, und er wollte nur noch wissen, wo und wann er schlafen konnte, und worum ging es überhaupt bei diesem ganzen Quatsch? In was hatte er sich da von Hernandez reinziehen lassen?
In diesem Moment schlug der Regen zu, der Wind steigerte seine Geschwindigkeit um ein paar Knoten, und die Bewohner der Brücke gingen nun wirklich in Deckung und überließen Rydell, der sich in der Lücke zwischen ein paar altmodischen japanischen Automaten zusammenkauerte, seinem Schicksal. Die Gesamtkonstruktion, wenn man es so nennen konnte, war so porös, dass sie jede Menge Regen
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