Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
hereinließ, aber auch so groß und schwerfällig, dass ihr der Wind ernsthaft zu schaffen machte. Das ganze Ding begann zu knarren, zu knacken und irgendwie zu stöhnen. Und immer mehr Lichter gingen aus.
Er sah weiße Funken stieben, und ein Leitungskabel kam aus dem wahnwitzigen Durcheinander herunter. Jemand brüllte etwas, aber die Worte wurden vom Wind weggerissen, und er konnte sie nicht verstehen. Er schaute nach unten und sah Wasser um seine Kampfstiefel hochsteigen. Nicht gut, dachte er; Pfützen, nasse Schuhe, Wechselstrom.
Neben dem einen Automaten war ein Obststand, aus erbeutetem Holz zusammengehauen wie eine Kinderfestung – doch er stand auf einer Art Podest, das fünfzehn Zentimeter hoch war, und dort sah es trocken aus. Rydell kauerte sich auf das Podest und nahm die Füße aus dem Wasser. Es roch nach überreifen Mandarinen, aber es war weitgehend trocken, und der Automat hielt den meisten Wind ab.
Er zog seine Jacke so weit zu, wie es ging, schob die Fäuste in die Taschen und dachte an ein heißes Bad und ein trockenes Bett. Er dachte an seinen Futon-Mouth-Futon unten in Mar Vista und bekam tatsächlich Heimweh. Herrgott, dachte er, demnächst vermisse ich auch noch diese Blumenaufkleber.
Eine Segeltuchmarkise kam herunter. Ihre Holzstützen knickten wie Zahnstocher, und sie schüttete Unmengen Regenwasser aus. Und genau in diesem Augenblick sah er sie, Chevette Washington, direkt da draußen vor seinen Augen. Er glaubte zu träumen. Keine sechs Meter entfernt. Sie stand einfach so da.
Damals, als sein Vater nach Florida gezogen und krank geworden war, hatte Rydell dort eine Freundin gehabt, wenn man es so nennen konnte. Ihr Name war Claudia Marsalis, sie war aus Boston, und ihre Mutter hatte ihr Wohnmobil auf dem gleichen Platz stehen gehabt wie Rydells Vater, ganz in der Nähe der Bucht von Tampa. Rydell war gerade im ersten Jahr auf der Akademie, kriegte aber ab und zu Urlaub, und sein Vater wusste, wie man günstig an Flugtickets rankam.
Also flog Rydell im Urlaub runter und wohnte bei seinem Vater, und abends traf er sich manchmal mit Claudia Marsalis und fuhr mit ihr im ’94er Lincoln ihrer Mutter rum, der Claudia zufolge kirschrot gewesen war, als sie ihn hergebracht hatten; aber jetzt begann sich das Salz allmählich
bemerkbar zu machen. In Boston war sie offenbar nur im Sommer gefahren, damit die Chemikalien den Schlitten nicht zerfraßen. Er hatte diese blauweißen MASS-HERI-TAGE-Schilder dran, weil er ein Liebhaberstück war. Es waren noch die altmodischen Dinger aus geprägtem Metall, die nicht von innen leuchteten.
Ging ziemlich rau zu in diesem Teil von Tampa, wo die Straßenschilder alle wie Schweizer Käse aussahen, weil sie als Zielscheiben für Schießübungen benutzt wurden oder weil jemand bei Nacht die Würgebohrung seiner Schrotflinte an ihnen demonstrieren musste. Und es gab in der Gegend massenweise Schrotflinten, die demonstriert werden mussten; im Fenstergestell von jedem Pick-up und Geländewagen, und dazu kamen meistens noch ein paar große alte Hunde. Anfangs hackte Claudia ziemlich auf Rydell rum wegen dieser Florida-Jungs mit ihren Baseballmützen, die mit ihren Knarren und Hunden durch die Gegend fuhren. Rydell erklärte ihr, das habe nichts mit ihm zu tun, er käme aus Knoxville, und in Knoxville führen die Leute nicht rum und demonstrierten ihre Knarren. Dort schössen sie auch keine Löcher in Straßenschilder, jedenfalls nicht, wenn das Department es verhindern konnte. Aber Claudia gehörte zu den Menschen, die dachten, südlich von Washington sei alles gleich, vielleicht tat sie auch nur so, um ihn ein bisschen zu triezen.
Doch nachts roch es nach Salz und Magnolien und Sumpf, und sie fuhren mit diesem Lincoln rum, hatten die Fenster runtergekurbelt und hörten Musik. Wenn es dunkel wurde, konnte man die Lichter auf den Schiffen und den großen Lastkähnen beobachten, die wie die langsamsten UFOs der Welt vorbeibrummten. Manchmal legten sie vielleicht auch einen schnellen, lustlosen Fick auf der Rückbank ein, aber Claudia sagte, in Florida käme man dabei einfach zu sehr ins Schwitzen, und Rydell stimmte ihr gewöhnlich
zu. Es lag einfach daran, dass sie beide hier unten waren, dass sie allein waren und dass es sonst nicht viel zu tun gab.
Eines Nachts hörten sie einen Countrysender aus Georgia, und da brachten sie »Me and Jesus ’ll Whup Your Heathen Ass«, diese knallharte Pentecost-Metal-Nummer über Abtreibung und Ayatollahs und so
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