Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
Kim Kutnik war eine von sieben Forschern, denen man die Aufgabe übertragen hatte, HIV-positive Personen ausfindig zu machen, die möglicherweise eine nicht pathogene Art in sich trugen. Sie entschied sich dafür, ihre Suche in einem Datensektor zu beginnen, der gegenwärtige Insassen staatlicher Gefängnisse umfasste, die a) anscheinend bei guter Gesundheit waren und b) deren letzter HIV-Test mindestens ein Jahrzehnt zurücklag. Ihr erster Suchlauf
brachte sechsundsechzig Personen zutage – darunter J. D. Shapely.
Yamasaki sah zu, wie Kutnik, gespielt von einer jungen britischen Schauspielerin, sich auf einer Terrasse in Rio an ihre erste Begegnung mit J. D. Shapely erinnerte. »Ich war verblüfft von der Tatsache, dass seine T-Zellen-Zahl an diesem Tag über 1200 lag, und dass seine Antworten in dem Fragebogen darauf hinzudeuten schienen, dass ›Safer Sex‹, wie wir es damals nannten, nicht gerade sein … äh … Hauptanliegen war. Er war ein sehr offener, sehr kontaktfreudiger, ja, eigentlich ein sehr unschuldiger Mensch, und als ich ihn im Besuchsraum dieses Gefängnisses nach oralem Sex fragte, wurde er doch tatsächlich rot. Dann lachte er und sagte … nun, er sagte, er würde ›Schwänze lutschen, als ob es demnächst aus der Mode kommen würde‹ …« Die Film-Kutnik lachte, als ob sie selbst gleich erröten würde. »Natürlich wussten wir zu dieser Zeit eigentlich noch nichts Genaues über die Infektionsträger der Krankheit«, fuhr sie fort, »denn – so grotesk das heute zu sein scheint — die präzisen Formen der Übertragung waren nie richtig erforscht worden …«
Yamasaki schaltete das Gerät aus. Dr. Kutnik würde Shapelys Entlassung aus dem Gefängnis als Freiwilliger der AIDS-Forschung nach dem Bundesgesetz arrangieren. Das Projekt der Sharman-Gruppe würde von fundamentalistischen Christen behindert werden, die etwas dagegen hatten, dass todkranken AIDS-Patienten »HIV-belastetes« Blut injiziert wurde. Nach der Einstellung des Projekts würde Kutnik klinische Daten entdecken, die darauf hindeuteten, dass ungeschützter Sex mit Shapely bei etlichen ihrer Patienten anscheinend den Krankheitsverlauf umgekehrt hatte. Dann würde Kutniks leidenschaftliche Kündigung kommen, der Flug nach Brasilien mit dem verblüfften Shapely, die großzügige finanzielle Förderung vor dem Hintergrund eines drohenden Bürgerkrieges, und das, was man
nur als extrem pragmatisches Forschungsklima bezeichnen konnte.
Aber es war eine so traurige Story.
Da war es besser, hier im Kerzenlicht zu sitzen, die Ellbogen auf den Rand von Skinners Tisch gestützt, und dem Lied des Mittelpfeilers zu lauschen.
25 BIS ZUM HALS
Er sagte in einem fort, er sei aus Tennessee und könne auf diesen Mist verzichten . Sie dachte in einem fort, sie würde draufgehen, so wie er fuhr, oder jedenfalls würden diese Cops hinter ihnen her sein, oder der Kerl, der Sammy erschossen hatte. Sie wusste immer noch nicht, was passiert war, und war das nicht Nigel gewesen, der in diesen Straffgesichtigen reingepflügt war?
Da er jedoch bei der Querstraße gezögert hatte, die rechts von der Bryant abging, sagte sie ihm, dass er auf der Folsom links abbiegen sollte, denn wenn die Arschlöcher kamen, wollte sie in Haight sein, dachte sie, dem besten Platz, den sie kannte, um unterzutauchen; genau das war es nämlich, was sie vorhatte, und zwar bei der erstbesten Gelegenheit. Und dieser Ford war genau so einer, wie ihn Mr Matthews fuhr, der das Heim in Beaverton leitete. Und sie hatte versucht, jemanden mit einem Schraubenzieher zu erstechen. So was hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie getan. Und sie hatte den Computer von diesem Schwarzen ruiniert, dem mit der komischen Frisur. Und dieses Armband an ihrem linken Handgelenk, dessen andere Hälfte an drei Kettengliedern offen rumbaumelte …
Er langte hinüber und ergriff die lose Handschelle. Machte etwas damit, ohne die Augen von der Straße zu wenden. Er ließ los. Nun war sie zu.
»Warum hast du das gemacht?«
»Damit du nicht an irgendwas hängen bleibst und am Ende an den Türgriff oder ein Straßenschild gefesselt bist …«
»Nimm sie mir ab.«
»Kein Schlüssel.«
Sie rasselte ihm mit dem Ding vor der Nase herum. »Nimm sie ab!«
»Schieb sie in den Ärmel deiner Jacke rauf. Das sind Beretta-Handschellen. Erstklassige Dinger.« Er sagte das, als wäre er irgendwie froh, was zu haben, worüber er reden konnte, und er fuhr auch nicht mehr ganz so wild. Braune Augen. Nicht
Weitere Kostenlose Bücher