Idoru
wurden.
»Dein Computer gefällt mir«, sagte sie. »Er sieht aus, als wäre er von Indianern oder so gemacht worden.«
Chia schaute auf ihren Sandbenders hinunter. Sie stellte den roten Schalter auf ›Aus‹. »Korallen«, sagte sie. »Das hier sind Türkise. Was wie Elfenbein aussieht, ist das Innere einer Art Nuß. Erneuerbar.«
»Der Rest ist aus Silber?«
»Aluminium«, sagte Chia. »Sie schmelzen alte Dosen ein, die sie am Strand ausgraben, und gießen es in Sandformen. Diese Tafeln sind aus Micarta. Das ist Leinen mit so einem Harz drin.«
»Ich wußte gar nicht, daß Indianer Computer bauen können«, sagte die Frau und streckte die Hand aus, um den gebogenen Rand des Sandbenders zu berühren. Ihre Stimme war zögernd und hell, wie die eines Kindes. Der Nagel des Fingers, der an dem Sandbenders lag, war knallrot, der Lack überall gesprungen und abgeblättert. Ein Zittern, dann wurde die Hand zurückgezogen.
»Ich hab zuviel getrunken. Und dann auch noch mit Tequila drin. ›Vitamin T‹ wie Eddie das nennt. Ich hab mich aber nicht -56—danebenbenommen, oder?«
Chia schüttelte den Kopf »Hinterher weiß ich’s manchmal nicht mehr, wenn ich mich danebenbenehme.«
»Wissen Sie, wie lang es noch dauert bis Tokio?« fragte Chia. Ihr fiel nichts anderes ein.
»Locker neun Stunden«, sagte die Blonde und seufzte.
»Unterschallflieger sind einfach ätzend, was? Eddie hatte mich auf ’ne Überschallmaschine gebucht, aber dann hat er gesagt, mit dem Ticket wär irgendwas schiefgegangen. Eddie kriegt die ganzen Tickets von so ’nem Laden in Osaka. Mit der Air France sind wir mal erster Klasse geflogen, da wird der Sitz zum Bett, und sie decken dich mit einer kleinen Steppdecke zu.
Und dann haben sie da auch eine geöffnete Bar, und sie lassen die Flaschen gleich draußen. Es gibt Champagner, und das Essen ist vom Feinsten.« Die Erinnerung daran schien sie nicht aufzuheitern. »Und man kriegt Parfüm und Make-up in einem Etui, von Hermes. Echtes Leder. Warum fliegst du nach Tokio?«
»Oh«, sagte Chia. »Ähm. Meine Freundin. Um meine Freundin zu besuchen.«
»Ist so merkwürdig da. Weißt du? Seit dem Erdbeben.«
»Aber sie haben doch alles wieder aufgebaut. Oder nicht?«
»Klar, aber sie haben’s so schnell gemacht, hauptsächlich mit diesem nanotechnischen Zeug, das einfach wächst. Eddie war da, bevor sich der Staub gelegt hatte. Hat mir erzählt, nachts könnte man sehen, wie die Türme wachsen. Räume da oben wie Bienenwaben, und Wände, die sich selbsttätig schließen, eine nach der andern. Er sagt, es war, als sähe man eine Kerze schmelzen, nur umgekehrt. Da kriegt man echt Angst. Alles völlig geräuschlos. Maschinen, die so klein sind, daß man sie nicht sehen kann. Die können in deinen Körper reingehen, weißt du?«
Chia spürte eine leise unterschwellige Panik. »Eddie?« fragte -57—sie in der Hoffnung, das Thema wechseln zu können.
»Eddie ist so ’ne Art Geschäftsmann. Er ist nach dem Erdbeben nach Japan gegangen, um Geld zu machen. Er sagt, die Infa-, Infa-, die Struktur war damals weit offen. Er sagt, es hätte sozusagen das Rückgrat rausgenommen, so daß man rasch reinkommen und rumwühlen konnte, bevor alles wieder verheilt und verhärtet ist. Und dann ist es um Eddie rum verheilt, als ob er ’n Implantat oder so was wäre, und jetzt gehört er zur Infa-, Infa- …«
»Infrastruktur.«
»Zur Struktur. Jawoll. Jetzt mischt er also ganz oben mit. Er ist Wirt, ihm gehören so ein paar Clubs, und er hat die Finger im Musikgeschäft, in Videos und so.«
Chia beugte sich vor, zog ihre Tasche unter dem Vordersitz heraus und verstaute den Sandbenders darin. »Wohnen Sie da, in Tokio?«
»Teilweise.«
»Gefällt es Ihnen?«
»Es ist … ich … na ja … unheimlich, hm? Wie sonst nirgends. Da ist dieses dicke Ding passiert, dann haben sie alles wieder mit was repariert, was vielleicht ein noch dickeres Ding war, eine noch größere Veränderung, und alle laufen rum und tun so, als war’s nie passiert, als war gar nichts passiert. Aber weißt du was?«
»Was?«
»Schau dir mal ’nen Stadtplan an. Einen Stadtplan von früher. Vieles ist nicht mal mehr da, wo es vorher gewesen ist.
Auch nicht annähernd. Na ja, ein paar Sachen schon, der Palast, die Schnellstraße und das große Rathaus-Dingsda in Shinjuku, aber ansonsten ist vieles so, als hätten sie’s sich gerade eben erst ausgedacht. Sie haben den ganzen Erdbeben-Schrott ins Wasser geschoben, wie zur
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