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Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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außergerichtlich beigelegt worden, und bei allen späteren Versionen, einschließlich der von Chia, hatte man viel sorgfältiger auf eine genetische Ausführung geachtet. (Kelsey hatte ihr erzählt, es sei in erster Linie darum gegangen, eins seiner Augen auszuwechseln, aber warum nur das eine?) Sie hatte ihn bei ihrem zweiten Besuch in Venedig eingespeist, damit er ihr Gesellschaft leistete und für -53—abwechslungsreiche Musik sorgte, und es war ihr als eine gute Idee erschienen, ihn immer dann auftreten zu lassen, wenn sie eine Brücke überquerte. In Venedig gab es massenhaft Brücken; manche waren nur kleine Bogen aus steinernen Stufen, die einen winzigen Kanal überspannten. Da waren die Seufzerbrücke, die Chia mied, weil sie sie traurig und unheimlich fand, die Brücke der Fäuste, die sie vor allem ihres Namens wegen mochte, und so viele andere. Und da war die Rialtobrücke, groß und gewölbt und unwahrscheinlich alt, auf der man ihrem Vater zufolge das Bankwesen oder eine besondere Art des Bankwesens erfunden hatte. (Ihr Vater arbeitete bei einer Bank, was der Grund dafür war, daß er in Singapur leben mußte.) Sie hatte ihre rasende Reise durch die Stadt jetzt verlangsamt und begab sich im Schrittempo die gestufte Steigung der Rialtobrücke hinauf. Der Music Master schritt elegant neben ihr einher. Sein kittfarbener Trenchcoat flatterte in der Brise.
    »DESH«, sagte er auf ihren Blick hin, »die diatonische Entwicklung einer statischen Harmonie. Auch bekannt als der Durakkord mit der absteigenden Baßlinie. Bachs ›Air aus der 3. Orchestersuite‹ 1730. Procol Harums ›A Whiter Shade of Pale‹, 1967.« Wenn sie jetzt Blickkontakt mit ihm aufnahm, würde sie seine Beispiele hören, aus keiner bestimmten Richtung und genau mit der richtigen Lautstärke. Dann mehr über DESH, und weitere Beispiele. Sie hatte ihn aber bei sich, damit er ihr Gesellschaft leistete, und nicht, um sich einen Vortrag anzuhören. Doch mehr als Vorträge hatte er nicht zu bieten, abgesehen von seiner Optik; im wesentlichen war er blond und zartknochig und trug viel schönere Kleidung, als ein Mensch sie jemals tragen konnte. Er wußte alles über Musik, was es zu wissen gab, und sonst gar nichts.
    Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie sich bei diesem Besuch schon in Venedig aufhielt. Es war noch immer ihre Lieblingszeit, dieser Augenblick kurz vor Tagesanbruch, weil -54—sie ihn nicht vergehen ließ.
    »Weißt du was über japanische Musik?« fragte sie.
    »Welcher Art genau?«
    »Was die Leute so hören.«
    »Popmusik?«
    »Nehm ich an.«
    Er blieb stehen und drehte sich um, die Hände in den Hosentaschen. Der Trenchcoat schwang auf und enthüllte sein Futter.
    »Wir könnten mit einer Musik namens Enka anfangen«, sagte er, »obwohl ich bezweifle, daß du sie mögen würdest.« Bei Software-Agenten war das so, sie lernten, was man mochte.
    »Die Wurzeln des modernen japanischen Pops kamen später, mit der Kreation der sogenannten ›Gruppensounds‹, die sich auf breiter Front durchsetzten. Das war ein unverhohlen kommerzielles Nachahmungsphänomen. Extrem verwässerte Einflüsse westlicher Popmusik. Sehr fade und monoton.«
    »Aber gibt’s da wirklich Sänger, die nicht existieren?«
    »Die Idol-Sänger«, sagte er und ging weiter die gewölbte Steigung der Brücke hinauf. »Die Idoru. Manche von ihnen sind ungeheuer populär.«
    »Bringen sich die Leute ihretwegen um?«
    »Das weiß ich nicht. Aber ich halte es durchaus für möglich.«
    »Heiraten die Leute sie?«
    »Nicht daß ich wüßte.«
    »Was ist mit Rei Toei?« Ob man es wohl so aussprach?
    »Die kenne ich leider nicht«, sagte er und zuckte leicht zusammen, wie immer, wenn man ihn nach Musik fragte, die später als er selbst auf den Markt gekommen war. Das hatte immer zur Folge, daß Chia Mitleid mit ihm empfand, obwohl sie wußte, daß es albern war.
    -55-
    »Mach dir nichts draus«, sagte sie und schloß die Augen.
    Sie nahm die Brille ab.
    Nach Venedig erschien ihr das Flugzeug noch niedriger und enger, eine Röhre voller Sitzplätze und Menschen, in der man Klaustrophobie bekam. Die Blonde war wach und beobachtete sie. Jetzt, wo sie ihr Makeup größtenteils entfernt hatte, sah sie Ashleigh Modine Carter weitaus weniger ähnlich. Ihr Gesicht war nur ein paar Zentimeter entfernt.
    Dann lächelte sie. Es war ein langsames Lächeln, modular, als wäre es in Phasen unterteilt, die jeweils von einer gesonderten Scheu oder einem gesonderten Zögern beherrscht

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