Idoru
Business-Kultur ist mir immer noch fremd, Mr. Laney. Es fällt mir schwer, diese Dinge richtig zu beurteilen.«
»Was hat Blackwell gestern abend damit gemeint, daß Rez eine Japanerin heiraten will, die nicht real ist?«
»Idoru«, sagte Yamasaki.
»Was?«
»›Idol-Sängerin‹. Ihr Name ist Rei Toei. Sie ist ein Persönlichkeitskonstrukt, ein Konglomerat von Software-Agenten, die Schöpfung eines Informationsdesigners. Sie ähnelt dem, was man in Hollywood ›synthetische Schauspielerin‹ nennt, glaube ich.«
Laney schloß die Augen, schlug sie wieder auf. »Wie kann er sie dann heiraten?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Yamasaki. »Aber er hat sehr energisch klargemacht, daß dies seine Absicht ist.«
»Können Sie mir sagen, wozu man Sie engagiert hat?«
»Ich glaube, anfänglich hofften meine Arbeitgeber, ich könnte ihnen die Idoru erklären: ihre Anziehungskraft auf ihr Publikum und deshalb vielleicht auch auf ihn. Und ich glaube, -110—
daß sie wie Blackwell nach wie vor nicht überzeugt sind, daß keine Verschwörung dahintersteckt. Jetzt soll ich Sie, Mr. Laney, mit dem kulturellen Hintergrund der Lage vertraut machen.«
»Wer sind Ihre Arbeitgeber?«
»Dazu kann ich mich jetzt nicht genauer äußern.«
Der Kreisel begann zu wackeln. Laney sah eine Art Panik in den Augen des Mädchens. »Sie selbst glauben nicht, daß es eine Verschwörung ist?«
»Ich werde versuchen, Ihre Fragen heute abend zu beantworten. In der Zwischenzeit, während man dafür sorgt, daß Sie Zugang zu Daten bekommen, sehen Sie sich bitte das hier an …«
»Hey«, protestierte Laney, als sein Kreiselmädchen von einem unbekannten Logo ersetzt wurde: einer grinsenden Comic-Bulldogge mit Stachelhalsband, die bis zu ihrem muskulösen Hals in einer großen Suppenschüssel saß.
»Zwei Video-Dokus über Lo/Rez«, erklärte Yamasaki. »Sie sind auf Dog-Soup-Label erschienen, ursprünglich kleines Independent mit Sitz in Ost-Taipeh. Sie haben erste Aufnahmen der Band herausgebracht. Lo/Rez haben Dog Soup später gekauft, um dort weniger kommerzielles Material anderer Künstler herauszubringen.«
Laney starrte die grinsende Bulldogge mürrisch an. Er vermißte das Mädchen mit den Zöpfen. »Wie zum Beispiel Dokumentationen über sie selbst?«
»Die Veröffentlichung der Dokus wurde nicht von einer Zustimmung der Band abhängig gemacht. Es sind keine autorisierten Lo/Rez-Dokumente.«
»Tja, dafür müssen wir wohl dankbar sein.«
»Keine Ursache.« Yamasaki legte auf.
Die virtuelle Kamera zog auf und kurvte auf einen Stachel -111—
am Halsband des Hundes zu. In der Großaufnahme war er eine glänzende Stahlpyramide. Gespiegelte Wolken jagten im Zeitraffer über die hoch anfragende, dreieckige Wand, während das Universal Copyright Agreement ins Bild rollte.
Laney schaute so lange zu, bis er sah, daß das Video aus Schnipseln der PR-Berichte über die Band zusammengebastelt war. »Vorsicht, Kunst«, sagte er und ging ins Bad, um die Beschriftung der Duscharmatur zu entziffern.
Die ersten sechs Minuten entgingen ihm, weil er zunächst einmal duschte und sich die Zähne putzte. Solche Kunstfilme hatte er früher schon gesehen, ohne ihnen größere Aufmerksamkeit zu schenken. Er schlüpfte in den weißen Frotteebademantel des Hotels und sagte sich, er solle es doch lieber versuchen. Er traute Yamasaki zu, daß er ihn später danach fragen würde.
Warum machte jemand so etwas? Es gab keine Geschichte und anscheinend auch keine Struktur; einige Schnipsel wiederholten sich immer wieder, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit …
In Los Angeles gab es komplette offene Kanäle, auf denen nur solche Sachen oder auch selbstgemachte Talkshows liefen, moderiert von nackten Hexen aus Encino, die vor großen Gemälden der Göttin saßen, die sie in ihren Garagen gemacht hatten. Nur daß man sich das ansehen konnte. Die Logik dieser Cut-ups hier bestand wohl darin, daß man damit irgendwie gegen das Medium ankämpfen konnte. Vielleicht sollte es eine Art Wassertreten sein, eine schlichte, eintönige menschliche Aktivität, die für einige Zeit wenigstens die Illusion der Gleichwertigkeit mit dem Meer erzeugte. Doch für Laney, der viele seiner wachen Stunden in den tieferen Regionen der Daten verbracht hatte, die den Medienwelten zugrunde lagen, wirkte es nur hoffnungslos. Und dazu noch ermüdend, obwohl er vermutete, daß die Langeweile hier irgendwie nutzbar gemacht werden sollte – eine andere Form des
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