Idoru
Lagerfeuers.
Sie sorgte dafür, daß dort immer früher Abend war.
»Zona?«
»Jemand versucht, dich zu finden.« Zona in ihrer abgerissenen Lederjacke über einem weißen T-Shirt. An diesem Ort präsentierte sie sich als schnelle Collage, deren Bestandteile aus Filmen, Illustrierten und mexikanischen Zeitungen stammten: dunkle Augen, aztekische Wangenknochen, überall Aknenarben, ein Gewirr schwarzer Haare, wie Rauch. Sie hielt die Auflösung niedrig und achtete darauf, daß sie immer ein bißchen unscharf blieb.
»Meine Mutter?«
»Nein. Jemand, der Geld hat. Und der weiß, daß du in Tokio bist.« Die schmalen Spitzen ihrer schwarzen Stiefel waren hell vom Staub des Tals. Kupferne Reißverschlüsse an den Außennähten ihrer ausgebleichten schwarzen Jeans liefen von der Taille bis zu den Knöcheln. »Warum bist du so angezogen?«
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Chia fiel ein, daß sie sich immer noch in dem Silke-Marie-Kolb-Outfit präsentierte. »Wir hatten ein Treffen. Sehr formell.
Total nervig. Das hier hab ich mir mit Kelseys Cashcard besorgt.«
»Wo hast du am Port gehangen, als du dafür bezahlt hast?«
»Da, wo ich jetzt auch dranhänge. Bei Mitsuko zu Hause.«
Zona runzelte die Stirn. »Hast du noch mehr Einkäufe gemacht?«
»Nein, keine.«
»Gar nichts?«
»Eine U-Bahnkarte.«
Zona schnippte mit den Fingern, und eine Eidechse kam unter einem Felsen hervorgehuscht. Sie lief ihr das Bein hinauf und in die wartende Hand. Als Zona sie mit den Fingern der anderen Hand streichelte, änderten sich die Muster ihrer Färbung. Zona tippte ihr auf den Kopf, und die Eidechse lief ihr das Bein hinunter und verschwand hinter einer zerbeulten, rostigen Dachplatte. »Kelsey hat Angst. So viel Angst, daß sie zu mir gekommen ist.«
»Angst wovor?«
»Jemand hat wegen deinem Flugticket Kontakt mit ihr aufgenommen. Sie haben an ihren Vater ranzukommen versucht, weil es mit seinen Punkten bezahlt worden ist. Aber der ist unterwegs. Statt dessen haben sie mit Kelsey gesprochen. Ich glaube, sie haben ihr gedroht.«
»Womit?«
»Weiß ich nicht. Aber sie hat ihnen deinen Namen und die Nummer der Cashcard gegeben.«
Chia dachte an Maryalice und Eddie.
Zona Rosa zog ein Messer aus ihrer Jackentasche und hockte sich auf einen rötlichen Felsvorsprung. Goldene Drachen wirbelten dicht unter der Oberfläche des pinkfarbenen -131—Messergriffs aus Plastik. Sie drückte auf einen verzinkten Knopf, und die Klinge mit den Drachenradierungen schnappte heraus. Die Spitze war mit Sägezähnen versehen und sah gnadenlos aus. »Sie hat keinen Mumm, deine Kelsey.«
»Sie ist nicht meine Kelsey, Zona.«
Zona hob ein Aststück mit grüner Rinde auf und begann, mit der Klinge des Schnappmessers dünne Kringel abzuschälen.
»In meiner Welt würde sie es keine Stunde machen.« Bei einem früheren Besuch hatte sie Kelsey Geschichten vom Krieg mit den Rats erzählt, von offenen Schlachten, die auf den abfallübersäten Spielplätzen und in den einstürzenden Tiefgaragen riesiger Wohnsiedlungen ausgetragen wurden.
Wie hatte dieser Krieg begonnen? Weswegen? Zona hatte es nie gesagt.
»Ich auch nicht.«
»Also, wer sucht dich?«
»Meine Mutter würde es tun, wenn sie wüßte, daß ich hier bin …«
»Das war nicht deine Mutter, die Kelsey solche Angst eingejagt hat.«
»Wenn jemand meine Platznummer auf dem Herflug kennen würde, könnte er die Nummer des Tickets rauskriegen und sie zurückverfolgen, stimmt’s?«
»Wenn er gewisse Mittel hätte, ja. Es wäre illegal.«
»Von da aus käme er dann zu Kelsey …«
»Und dann zu den Vielfliegerdateien der Air Magellan, und das würde bedeuten, daß er eine Menge Mittel hat.«
»Da war eine Frau im Flugzeug … Sie hatte den Platz neben mir. Dann mußte ich ihren Koffer tragen, und sie und ihr Freund haben mich nach Tokio mitgenommen …«
»Du hast ihren Koffer getragen?«
»Ja.«
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»Erzähl mir das. Von Anfang bis Ende. Wann hast du die Frau zum ersten Mal gesehen?«
»Auf dem Flughafen. SeaTac. Sie haben noninvasive DNA-Proben genommen, und da hab ich gesehen, wie sie so was Komisches gemacht hat …« Chia begann, die Geschichte von Maryalice und allem anderen zu erzählen, während Zona Rosa dasaß und mit gerunzelter Stirn ihren Stock schälte und anspitzte.
»Hol mich der Henker«, sagte Zona Rosa, als Chia mit ihrer Geschichte fertig war. Die Übersetzung gab ihren Ton so wieder, daß es sowohl erstaunt als auch angewidert klang; Chia konnte es nicht erkennen.
»Was?«
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