Idoru
generierte. Es gab keine Kreditaktivität. Selbst ihr Upful-Groupvine-Konto war gelöscht. Als ihr Besitz aufgelöst und diverse geschäftliche Angelegenheiten abgeschlossen wurden, bekamen ihre Daten etwas Ordentliches und Gradliniges. Laney dachte an die Toten, die fest in ihr Totengewand gepackt waren, an Särge und Hügelgräber, an die langen, geraden Friedhofswege in den Zeiten, als man den Toten noch ihr eigenes Stück Land gewährt hatte.
Der Knotenpunkt hatte sich dort gebildet, wo sie gelebt hatte, während sie gelebt hatte, an der unordentlichen, permanent wuchernden Schnittstelle mit der normalen und dennoch unendlich vielfältigen Welt. Jetzt gab es keine Schnittstelle mehr.
Er hatte nur kurz und sehr vorsichtig nachgesehen, ob ihr Schauspieler vielleicht seine eigenen Entrümpelungen vornahm. Er hatte nichts Offensichtliches gefunden, nahm jedoch an, daß Außer Kontrolle das viel genauer beobachten würde.
Ihre Daten waren sehr still. Nur eine schwache, methodische Bewegung in ihrem Kern: etwas, was mit dem noch andauernden juristischen Vorgang der Auflösung ihres Besitzes zu tun hatte.
Ein Verzeichnis aller Möbel im Schlafzimmer eines Gästehauses in Irland. Ein Unterverzeichnis der Dinge, die in der Walnußkommode aus dem siebzehnten Jahrhundert neben dem Bett zu finden waren: Zahnbürste, Zahnpasta, Schmerztabletten, Tampons, Rasierapparat, Rasiergel. Jemand -137-
überprüfte diese Dinge in regelmäßigen Abständen und füllte das Fehlende auf. (Der letzte Gast hatte das Gel benutzt, den Rasierapparat aber nicht.) Im ersten Verzeichnis war ein starkes österreichisches Fernglas mit Stativ aufgeführt, das auch als digitale Kamera diente.
Laney griff auf deren Speicher zu und stellte fest, daß die Aufnahmefunktion genau ein einziges Mal benutzt worden war, und zwar am Tag, als die Herstellergarantie in Kraft getreten war. Die Garantie war vor zwei Monaten abgelaufen, und bei dem einzigen aufgenommenen Bild handelte es sich um einen Blick zwischen weißen Vorhängen hindurch auf einen Balkon mit der Irischen See davor, wie Laney vermutete.
Er sah eine verirrte Palme, ein Stück Maschendrahtzaun, einen Bahndamm mit zwei mattglänzenden Schienen, eine weite Fläche gräulich-braunen Strands und dann das grausilberne Meer.
Näher am Meer, zum Teil vom Bildrand abgeschnitten, schien eine niedrige, ausladende, steinerne Festung zu sein, die wie ein gestutzter Turm aussah. Ihre Steine hatten die gleiche Farbe wie der Strand.
Laney versuchte, das Schlafzimmer und das Gästehaus zu verlassen, und sah sich von archäologisch präzisen Aufzeichnungen über die Restaurierung von fünf riesigen Kachelöfen in einer Wohnung in Stockholm umgeben. Es waren Ziegeltürme mit kunstvoll glasierten, aufwendig geformten Kacheln, die gigantischen Schachfiguren ähnelten.
Sie ragten bis zu den über vier Meter hohen Decken auf, und in jedem hätten mit Leichtigkeit mehrere aufrecht stehende Menschen Platz gefunden. Da war eine Aufzeichnung über die Numerierung jedes Steins in jedem Ofen sowie über die Zerlegung, Reinigung, Restaurierung und den Wiederaufbau der Öfen.
Es gab keine Möglichkeit, die restliche Wohnung zu betreten, aber aufgrund der Proportionen der Ofen nahm Laney an, daß -138—sie sehr groß war. Er klickte ans Ende der Ofenauflistung und warf einen Blick auf die Endsumme der Arbeitskosten; beim gegenwärtigen Kurs waren es ein paar seiner früheren Jahresgehälter bei Slitscan und mehr.
Er klickte durch in den Hintergrund rückende Bildpunkte zurück und suchte nach einem größeren Überblick, einer gefühlsmäßig erfaßbaren Form, aber da waren nur Mauern, unförmige Massen penibel arrangierter Informationen, und er erinnerte sich wieder an Alison Shires und seine Vorahnung von ihrem Datentod.
»Das Licht ist an«, sagte Laney, als er den Datenhelm abnahm, »aber es ist niemand zu Hause.« Er warf einen Blick auf die Computeruhr: Er war etwas über zwanzig Minuten drin gewesen.
Blackwell musterte ihn verdrießlich. Er saß wie ein schwarzgekleideter Buddha auf einer Spritzgußkiste, die narbigen Augenbrauen zu neuen Konfigurationen der Besorgnis gerunzelt. Die drei Techniker hatten die Hände in den Taschen ihrer weitgehend identischen Jacken und schauten betont ausdruckslos drein.
»Und wie kommt das?« fragte Blackwell.
»Weiß nicht genau«, sagte Laney. »Er scheint nichts zu tun.«
»Zum Teufel, er macht nichts anderes, als irgendwas zu tun«, erklärte Blackwell.
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