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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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ungläubig.
    »Ich konnt’s ihm nicht ausreden«, sagte Liz, die die Treppe heraufgelaufen kam. »Er hat mich abgesetzt und ist gleich weiter.«
    »Kinder bringen ihn jedesmal aus dem Konzept.«
    »Warum eigentlich?«
    »Das weiß niemand.« Weningstedts Telefon klingelte; er nahm den Hörer und hielt die Sprechmuschel zu. »Du mußt mit Emanuel in die Pension im Westend, der Wirt hat wohl ein paar interessante Zeitungsausschnitte gefunden, außerdem überprüfen wir gerade die Telefonverbindungen. Der Mann hat von seinem Zimmer aus das Haustelefon benutzt. Und Micha hat gerade einen der beiden Besitzer eines hellen Passats am Nothkaufplatz erwischt, einen Rentner, Micha ist mit Esther schon auf dem Weg zu ihm. Beeil dich, bitte! Emanuel wartet im Vernehmungsraum auf dich.«
    Außer über die kleine P-F-Kammer im zweiten verfügte die Mordkommission über ein geräumiges Zimmer im dritten Stock, in dem Fischers Kollegen ihre Vernehmungen von Zeugen und Tatverdächtigen und an der verspiegelten Wand Gegenüberstellungen durchführten; zudem war der Raum mit einer Mithöranlage und drei digitalen Kameras ausgestattet.
    Als Liz die Tür aufzog, wischte sich Franz Wohlfahrt gerade mit einem Taschentuch den Schweiß aus dem Nacken, während Emanuel Feldkirch drohend mit dem Finger auf ihn zeigte.
    Sie schwitzte, obwohl die Sonne gar nicht schien, aber trinken wollte sie nichts. Sie hatte den Elch neben sich gesetzt, machte einen schiefen Mund und rührte das Wasserglas auf dem kleinen Holzbrett nicht an. Sie hatte gleich gewußt, daß er log; es gab kein Meer in der Stadt, das hätte sie doch längst bemerkt! Und dann hätten sie auch nicht so weit fahren müssen, der Mann, den sie Papa nennen durfte, und sie. Das Weitwegfahren war viel schöner als das Dableiben.
    Sie hatte Durst. Sie leckte sich die Lippen, sie schmeckten nicht wie am Meer. Plötzlich stand der große Mann neben ihr.
    »Siehst du das Meer?« fragte er.
    »Du bist ein Lügner!« sagte Katinka. »Ich sprech nicht mehr mit dir, nie mehr!«
    Fischer nahm den Elch und setzte sich neben das Mädchen in den Strandkorb. Er hielt das Stofftier fest in der Hand, es fühlte sich warm und freundlich an.
    »Trink doch einen Schluck«, sagte er.
    Das Mädchen blickte vor sich hin, ihre Lippen waren trocken und ihre Wangen gerötet.
    »Wenn ich auf dem Balkon sitze, mitten in der Stadt«, sagte Fischer, »dann sehe ich das Meer wie von selber, und ich schmecke das Salz und den Sand auf der Zunge. Im Sommer setze ich mich jeden Morgen in den Strandkorb, bevor ich zur Arbeit fahre, ich schau dann so lange das Haus da drüben an, bis es blau wird. Bis es blau ist und rauscht und glitzert und brummt und mir eine Geschichte erzählt.«
    Katinka preßte die Lippen aufeinander.
    Fischer hatte es nur so gesagt, weil er mit seinem Vorgesetzten telefoniert und dieser ihm den aktuellen Stand der Ermittlungen mitgeteilt und ihn außerdem gefragt hatte, welche seltsame Strategie er verfolge, indem er eine Hauptzeugin ausgerechnet in der unoffiziellsten Umgebung, nämlich in seiner Wohnung, befrage; worauf Fischer in einem Anfall von Lässigkeit erwidert hatte: »Nicht in meiner Wohnung, in meinem Strandkorb!«
    Dieser Anfall war längst vorüber.
    Und alles, was er zu erzählen hatte, stammte aus dem Buch, das er so gut kannte wie kein zweites.
    »Die Geschichte von den hungrigen und durstigen Menschen«, sagte Fischer und kraulte dem Elch den Bauch. »Jesus war mit einem Boot über das Wasser gefahren. Es war Abend; er ging an Land, seine Jünger warteten schon auf ihn. Sie wollten die vielen Leute, die sich versammelt hatten, nach Hause schicken. Das verbot er ihnen. Er forderte alle auf, sich in die Wiese zu setzen und mit ihm gemeinsam zu essen. Aber die Jünger meinten, sie hätten nur fünf Brote und zwei Fische und um sie herum säßen Tausende Menschen. Das kümmerte Jesus nicht; er nahm die Brote und die Fische, schaute zum Himmel hinauf, sprach ein Lobgebet, brach die Brote und gab sie seinen Freunden zurück, damit sie sie verteilten; das taten sie, und es reichte für alle, und alle wurden satt; und als man die Reste einsammelte, konnte man noch zwölf Körbe damit füllen. Weißt du, wie viele Menschen von den fünf Broten und den zwei Fischen gegessen haben?«
    Katinka schüttelte den Kopf.
    »Mehr als fünftausend Männer, dazu ihre Frauen und Kinder.«
    »Da haben die aber Glück gehabt, daß der Jesus gerade vorbeigekommen ist«, sagte Katinka und nahm
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