Idylle der Hyänen
was wir hier tun und was du tun sollst.«
Katinka kniff das linke Auge zu, dann nickte sie; dann kniff sie das rechte Auge zu, als teste sie ihre Sehfähigkeit.
»Du hast also verstanden, daß du eine Zeugin bist und daß du, wenn du möchtest, schweigen darfst. Wenn du schon erwachsen wärst, hättest du die Pflicht, als Zeugin auszusagen, aber mit sieben Jahren noch nicht.«
Was er da sagte, kam ihm verkrampft und auf eine bestimmte Weise unaufrichtig vor. Natürlich würde er in einem Mordfall auch ein Kind so lange befragen, bis er geklärt hatte, welchen Beitrag es zur Aufklärung leisten konnte.
Wenn er Katinka ansah, zweifelte er keinen Moment daran, daß sie ihren Mund nicht krampfhaft verschloß, weil sie jemandem oder sich selbst versprochen hatte, unter keinen Umständen ein Geheimnis preiszugeben; vielmehr gierte ihr Blick nach dem einzig erlösenden Wort, das sie aus ihrer Anspannung befreien und ihr Vertrauen einflößen würde. Bei Erwachsenen genügte manchmal eine Geste, eine scherzhafte Bemerkung, eine scheinbar belanglose Abschweifung, und ihre inneren Schlüssel, mit denen sie sich selbst ausgesperrt hatten, fingen zu klirren an. Bei Kindern und Jugendlichen trug oft die bloße Umgebung eines Kommissariats zur Einschüchterung bei, und ihre bruchstückhaft gezimmerten Schutzwälle klappten nach wenigen gezielten Fragen wie Kartenhäuser in sich zusammen.
Immer wieder hatte Fischer solche Situationen erlebt und selten besondere Tricks anwenden müssen, um den Weg zu verkürzen.
Und Katinka Schubart: Sie schaute an ihm vorbei zum Fenster.
Er fühlte sich unbehaglich. Das Sitzen in dem weichen Sessel strengte ihn an. Am liebsten wäre er aufgestanden. Doch er wollte dem Kind seine körperliche Größe nicht zumuten.
»Wir machen eine Ausnahme«, sagte er zu Liz.
»Ich schreibe hinterher ein formloses Gedächtnisprotokoll. Notfalls führen wir eine zweite Befragung durch.« Er wandte sich an das Mädchen.
»Aber ich glaube, das wird nicht nötig sein.« Woher er diese Gewißheit nahm, wußte er nicht.
»Riskant ist das«, sagte Liz. »Aber immer noch besser hierzusein, als im Büro Kaffee zu kochen.« Vergeblich hatte Sigi Nick versucht, seinen Servicedienst an sie abzutreten.
Sie zog die Tür hinter sich zu und ging in die Küche, wo das Ehepaar Schubart, vertieft in Zeitungen, Kaffee trank und die Berichte über die ermordeten Frauen und Katinkas überraschendes Auftauchen las. Liz setzte sich und nahm hungrig den Korb mit den frischen Semmeln und Brezeln entgegen, den Freya Schubart ihr anbot.
»Der Idiot von Sobeck kommt nicht gut weg«, sagte Jan-Erich Schubart und zeigte auf ein Foto von Katinkas Vater.
Ihre kleinen Hände waren von der Sonne gebräunt und wirkten, wenn sie sie still im Schoß hielt, auf dem weißen Faltenröckchen noch dunkler, genau wie ihre dünnen Beine, die von der Sofakante baumelten. Die gelbe Bluse mit dem Rüschenkragen stammte aus der Wohnung am Nothkaufplatz, ebenso die weißen Söckchen und die Sportschuhe, die Katinka trug. Micha Schell hatte die Sachen mit einigen anderen Kleidungsstücken am Vortag geholt. Fischer war sich nicht sicher, ob die Auswahl, die sein Kollege getroffen hatte, dem Mädchen gefiel; ständig zupfte sie am Rock oder am Kragen und kratzte sich schüchtern am Bein.
Obwohl Liz vor fünf Minuten das Zimmer verlassen hatte, sah Katinka den Kommissar immer noch nicht an. Dabei hatte er ihr bereits Fragen gestellt und sie geantwortet.
»Hast du verstanden, was ich von dir möchte?«
»Ja.«
»Möchtest du also mit mir sprechen?«
»Vielleicht.«
»Hast du gut geschlafen?«
»Ja.«
»Hast du zum erstenmal hier übernachtet?«
»Glaub schon.«
»Weißt du noch, was du geträumt hast?«
Sie schüttelte den Kopf; plötzlich sagte sie:
»Steh doch mal auf.«
Als hätte er nur auf die Aufforderung gewartet, wuchtete Fischer sich in die Höhe. Katinka streckte den Kopf in den Nacken.
»Du bist supergroß, wie groß bist du?«
»Einen Meter zweiundneunzig.«
»Wenn du am Kopf eine Lampe hättst, die sich dreht, dann könntst du als Leuchtturm arbeiten!«
Fischer lachte, seine rote Krawatte hüpfte auf seinem Bauch. Er lachte eine ganze Weile, seine Stimme dröhnte zur halb geöffneten Balkontür hinaus. Katinka verzog ihr Gesicht nur ein wenig.
»Das wäre gar nicht schlecht«, sagte Fischer und überlegte, ob er stehenbleiben sollte. »Dann hätte ich immer das Meer nah bei mir.«
»Das Meer ist das Schönste«, sagte
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