Idylle der Hyänen
ist die jetzt?«
»Sie sind der Vater«, sagte Fischer. »Sie könnten sie zu sich nehmen.«
Sobeck wippte abwechselnd mit beiden Beinen. An seiner Stirn zerrten Gedanken. Er stöhnte, wischte sich übers Gesicht, dann schnellte sein Kopf in die Höhe. »Keine Chance! Ist mein Kind, ja, aber: ist auch ein fremdes Kind. Adoptiveltern: wunderbar, beste Lösung. Ich bin der Falsche, glauben Sie’s mir, wenn ich so ein Kind erziehen müßt, das wär für beide ein Kreuz.« Er zeigte aufs Kruzifix und nickte.
»Was haben Sie als erstes gedacht, als Sie heute morgen den Bericht über Ihre tote Exfreundin gelesen haben?«
»Als erstes?« Er betrachtete die Innenfläche seiner rechten Hand. »Scheiße, hab ich gedacht, Scheiße, weil jetzt ruft garantiert gleich die Bullerei an. Und dann hab ich beschlossen, selber anzurufen.«
»Wegen des Selbstwertgefühls«, sagte Fischer.
»Was?«
Nachdem Sobeck den Computerausdruck durchgelesen und unterschrieben und das Kommissariat verlassen hatte, blieb Fischer noch eine Minute allein in seinem Vernehmungsraum sitzen, sah in den Flur hinaus und dachte wieder an die grüne Hose des Mannes, der mit Nele Schubart in dem chinesischen Lokal in der Nähe des Hauptbahnhofs gegessen hatte. Manchmal biß er sich an aberwitzigen Details fest.
Dann konzentrierte er sich auf seinen Montagspsalm und rezitierte ihn auswendig mit stiller Stimme.
»Hättst nicht zu murmeln brauchen«, sagte Valerie Roland, die vor der Tür gewartet hatte, bis er sich bekreuzigte. »Ekelhafter Kerl, der Sobeck. Das Mädchen kann froh sein, daß sie nicht bei ihm leben muß. Wie schaffst du das nur, bei solchen Leuten nicht aus der Haut zu fahren?«
»Wie komme ich dann wieder rein?« sagte Fischer, lächelte und stand auf.
Im Flur ertönte die Stimme von Neidhard Moll. Die Hausverwaltung hatte ihm mitgeteilt, zu welcher Wohnung der Stellplatz in der Tiefgarage gehörte.
Bis Polonius Fischer seine Arbeit fortsetzen konnte, vergingen zwei Stunden; der Mieter war nicht zu erreichen, und Liz Sinkel mußte erst mehrere Netzanbieter anrufen, um seine nicht eingetragene Handynummer zu erfahren; dieser Aufwand nahm vierzig Minuten in Anspruch, weil die Firma ein schriftliches Dokument verlangte. Also schickte Liz ein Fax mit dem of- fiziellen Papier des Polizeipräsidiums und der Unterschrift ihres Vorgesetzten und ließ sich mit dem Verantwortlichen verbinden. »Sie behindern die Ermittlungsarbeit der Kripo«, sagte sie und gab den Namen des Mannes in ihren Computer ein. Der Mann meinte, er folge lediglich den gesetzlichen Bestimmungen, worauf Liz ihn fragte, ob es zutreffe, daß er mit Alkohol am Steuer erwischt worden und sein Führerschein noch bis Ende des Jahres eingezogen sei. Was das eine mit dem anderen zu tun habe, wollte der Mann wissen und verlangte ihren Chef zu sprechen; bevor Liz das Gespräch an Weningstedt weiterleitete, wiederholte sie, daß die mutwillige Behinderung von Polizeiarbeit strafbar sei und sie sich wieder bei ihm melden werde. Weningstedt beendete die Diskussion innerhalb einer Minute und verlor gegenüber Liz kein Wort darüber; allerdings erstaunte ihn – nicht zum erstenmal – die Gesetzesverbissenheit der jungen Oberkommissarin. Nach ihrer Überzeugung hätte der Rechtsstaat den Strafverfolgungsbehörden die größtmöglichen Freiheiten einräumen sollen. Andererseits – und das rührte den Ersten Kriminalhauptkommissar beinah – reagierte Liz Sinkel auf die Kaltblütigkeit und Dummheit von Gewaltverbrechern nach wie vor mit geradezu kindlicher Fassungslosigkeit.
»Wir haben eine Lehrerin aus der Grundschule in der Guardinistraße ausfindig gemacht«, flüsterte sie Fischer zu, der den Telefonhörer zwischen Schulter und Wange geklemmt hatte und mit zwei Fingern seine Notizen in den Computer tippte. Er gab ihr ein Zeichen, sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch zu setzen; dieser Stuhl stand immer bereit, wenn er als Sachbearbeiter für einen Fall zuständig war.
»Seit zwei Monaten?« fragte Fischer und drückte den Knopf an der Telefonanlage, so daß Liz mithören konnte. Der zweite Schreibtisch im Zimmer war verwaist; Walter Gabler, der normalerweise dort saß, befragte gemeinsam mit Gesa Mehling die ehemaligen Kollegen von Nele Schubart im Kaufhaus am Rotkreuzplatz.
»Seit dem achtundzwanzigsten Juni.«
»Und Sie fliegen regelmäßig nach Mallorca.«
»Muß ich. Wer macht sonst meinen Laden in Palma?«
»Sie haben gesagt, Sie hätten zwei
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